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"Mittlerweile zeigen sie mit dem Finger auf uns"

Von Petra Tempfer

Europaarchiv
Der Wirt Makis Dasiaklis aus Athen (2. von rechts) mit Griechen im Hinterzimmer des Café-Restaurants "Korfu".
© Andreas Pessenlehner

Griechenlands Krise hat auch das Leben der Griechen in Wien verändert.


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Wien. Mit weit ausholenden Armbewegungen diskutieren mehrere Männer lautstark im Eingangsbereich des Café-Restaurants "Korfu" in der Wiedner Hauptstraße nahe dem Karlsplatz. Sie stehen an der Theke, hinter der sich in blauweißen Regalen Ouzo an Metaxa reiht. Es sind Griechen, die jenes Thema bereden, das derzeit nicht nur in ihrer ursprünglichen Heimat, sondern auch unter den Griechen in Österreich Nummer eins ist: Die Krise in Griechenland. Und wenn auch ihre Meinungen oft auseinandergehen, sind sie sich in drei Punkten doch einig: Dass die Griechen selbst schuld an der Situation sind, sie das EU-Hilfspaket brauchen und - sich deren Image dadurch drastisch verändert hat.

"Mittlerweile zeigt man mit dem Finger auf uns", sagt etwa Alexandros Andralis, Obmann des Vereins griechischer Studenten und Akademiker in Wien. Der 29-Jährige hat sich in ein Hinterzimmer zurückgezogen, das genauso gut einem Lokal in Griechenland entstammen könnte. Nicht etwa wegen der blauen Holzsessel oder der Fotos von weißen Häusern vor dem Meer. Es sind die Griechen selbst, die sich hier Backgammon spielend, essend oder trinkend um die Tische scharen. Seit Jahrzehnten ist das "Korfu" ihr Treffpunkt - seit mehreren Wochen haben sie zunehmend mit der ablehnenden Haltung der Wiener zu kämpfen.

Früher, ja früher habe man Griechen stets freudig empfangen, weil man mit ihnen den letzten Griechenland-Urlaub verband. "Griechen in Österreich, derzeit rund 3000, hatten nie das Image des Gastarbeiters. Jetzt werden sie Pleitegriechen geschimpft", klagt Andralis, dessen Vater Athener und dessen Mutter Wienerin ist. "Und die Touristen kommen nicht mehr so gerne nach Griechenland, weil sie Streiks fürchten", ergänzt Nikos Papamikes, der Reisen zwischen Österreich und Griechenland organisiert.

"Dabei ist auf dem Land und den Inseln kaum etwas von der Krise zu bemerken", schaltet sich Makis Dasiaklis ein, geschäftsführender Gesellschafter des "Korfu", der Papamikes einen Teller voller Gyros serviert. Er ist gebürtiger Athener und seit 30 Jahren mit einer Wienerin verheiratet.

"Griechen sind selbst schuld"

Seine Familie in Athen merke die Krise sehr wohl. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit mache den Griechen zu schaffen. "Alles steht still, es gibt keine Bautätigkeit, keine Kredite, viele Unternehmen sperren zu", sagt er - und räumt im selben Atemzug ein, dass die Griechen selbst schuld an der Situation sind. Andralis und Papamikes nicken zustimmend. Jahrzehntelang seien alle den Steuern entkommen, die Staatskasse wurde als Riesentopf betrachtet, aus dem man sich grenzenlos bedienen konnte. "Bauprojekte wurden nicht an Mindestbieter vergeben, sondern an die, die dreifach daran verdienten", erzählt Papamikes.

Das EU-Hilfspaket inklusive Sparmaßnahmen bräuchten sie daher dringender denn je. "Es kommt ohnehin zu spät", sagt Papamikes, der die Krise schon 2008 anrollen sah. "Besser spät als nie", entgegnet ihm Andralis - beide einigen sich darauf, dass es bis zu zehn Jahre dauern wird, bis sich Griechenland erholt hat.

Dasiaklis hätte bei der Volksabstimmung, die der ehemalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou vorgeschlagen hatte, jedenfalls für die EU-Hilfe gestimmt. "Die Volksabstimmung wäre 70 zu 30 für die Hilfe ausgegangen", meint Papamikes überzeugt, während er die letzten Fleischstücke von seinem Teller isst.

Griechenland brauche die EU - und die EU Griechenland. Slogans wie "Griechen raus aus der EU und dem Euro" stoßen den Betroffenen daher sauer auf. Sie stammten von Leuten, die keine Ahnung haben: Würde man Griechenland hinausbugsieren, würden Italien, Portugal und Spanien folgen. "Wohin soll die EU dann ihre Waren exportieren?", fragt Papamikes in die Runde. Und kehrt man zur Drachme zurück, wäre das "eine Katastrophe", so Dasiaklis.

"Die Griechen sind ein Volk, das mit Geld nie umgehen konnte", resümiert Papamikes, "sie gaben den Euro genauso verschwenderisch wie die Drachme aus und zahlten keine Steuern, während die Politiker Zahlen manipulierten." Das räche sich jetzt. Im "Korfu" wird das Thema jedenfalls noch länger für Diskussionen sorgen. Und worüber diskutierte man davor? "Über Fußball", sagt Papamikes, "früher war das das Thema Nummer eins."