Wer Mobbing-Opfer nicht schützt, muss zahlen, urteilt der Oberste Gerichtshof.
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Wien. "Macht euch das untereinander aus!" So oder so ähnlich reagieren viele Vorgesetzte immer noch, wenn sie mit Mobbing im eigenen Unternehmen konfrontiert werden. Doch die Strategie "Nichts hören, nichts sehen, nichts reden" kann Vorgesetzte künftig teuer zu stehen kommen. Denn: "Untätigkeit führt bei Mobbing selten zum Erfolg, sondern wird häufig als ,Freibrief‘ missverstanden", halten die Richter des Obersten Gerichtshofs (OGH) in einem jüngst ergangenen Urteil fest. "Für die Mobbing-Betroffenen ist echter Schutz gefordert."
"Wenn dem Arbeitgeber Mobbing-Handlungen zur Kenntnis gelangen, hat er im Rahmen der ihn treffenden Fürsorgepflicht unverzüglich auf angemessene Weise Abhilfe zu schaffen." So eindeutig fällt das Urteil mit der Aktenzahl 9 ObA 131/11x der OGH-Richter aus. Gegenstand des Verfahrens waren Schadenersatzansprüche, die ein als Portier und Hausarbeiter Beschäftigter gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber - ein Rehabilitationszentrum - erhoben hatte. Der Kläger hatte über Jahre hinweg massive Konflikte mit einigen Kollegen, weil er sich weigerte, während der Arbeitszeit Alkohol zu konsumieren. Die Mobbing-Handlungen reichten von regelmäßigen Beschimpfungen durch die Kollegen bis zu Manipulationen an seinem Computer. Schließlich informierte der Mann seinen Chef via Mail über die Alkoholexzesse einiger Kollegen - woraufhin dieser alle Mitarbeiter auf das Alkoholverbot in der Firma hinwies und ein Mitarbeitergespräch führte. Als die Kollegen von dem Mail erfuhren, wurden die Angriffe noch heftiger. Der Mitarbeiter wurde unter anderem als "Kameraden-Sau" und "Verräter" beschimpft.
Weitere Besprechungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten fanden zwar statt, lösten aber das Problem nicht. Der versprochene Mediator wurde nie bestellt. Da sich die Situation nicht besserte, erklärte der Gemobbte - nach einem Jahr im Krankenstand - seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis. Im Verfahren stützte sich der Kläger auf die Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber. Durch dessen Untätigkeit sei er psychisch erkrankt, weshalb er nun Schadenersatz für Verdienstentgang, Fahrtkostenersatz für Arztfahrten, sowie Schmerzensgeld für die erlittene psychische Beeinträchtigung forderte.
Fürsorgepflicht verletzt?
"Mobbing ist in jedem Arbeitsverhältnis verboten", stellen dazu die Richter des OGH fest. Wenn es um konkrete Ansprüche geht, sei allerdings jeweils zu prüfen, ob von den beteiligten Akteuren arbeitsrechtliche Pflichten - zum Beispiel die Fürsorgepflicht - verletzt wurden. "Diese Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber nämlich auch dazu, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende Mitarbeiter zu ergreifen, insbesondere wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere Arbeitnehmer nahezu unzumutbar werden", stellt der OGH fest. Der Gemobbte hat zwar keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit den Beleidigern beendet. Er hat jedoch ein Recht darauf, dass der Arbeitgeber aktiv wird und ihn vor weiteren Angriffen schützt. Mit den Schadenersatzforderungen des Klägers - er ist mittlerweile in Pension - müssen sich nun die Gerichte beschäftigen.
Von Arbeitsrechtsexperten wird die Entscheidung der Höchstrichter durchwegs als Meilenstein bewertet. "Festzuhalten ist, dass Arbeitgeber in Sachen Mobbing umgehend handeln müssen. Ein verspätetes Eingreifen durch den Arbeitgeber kann zu Schadenersatzansprüchen führen", warnt etwa Franz J. Heidinger, Rechtsanwalt der Kanzlei Alix Rechtsanwälte. Sein dringender Rat: "Arbeitgeber sollten daher schon bei einem Mobbing-Verdacht eingreifen und aufkommendes Fehlverhalten der Arbeitnehmer sofort unterbinden."
Was ist Mobbing?
Laut Definition der Richter des Obersten Gerichtshofs handelt es sich bei Mobbing "um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und das als Diskriminierung empfindet."Typisch für Mobbing sei das systematische, ausgrenzende und prozesshafte Geschehen über einen längeren Zeitraum.