Alpträume als Anzeichen dafür, dass Kinder von Gleichaltrigen drangsaliert werden.
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Vancouver/Wien. Das Schülerdasein ist oft kein leichtes. Manche Kinder und Jugendliche werden verprügelt oder beschimpft, andere via Handy mit gemeinen Nachrichten bedacht oder von der Gruppe ausgeschlossen. Ist Mobbing gesundheitsschädlich oder macht es die Kinder robuster? Dieser Frage ist der Entwicklungspsychologe Dieter Wolke von der University of Warwick gemeinsam mit seiner Forscherkollegin Suzet Tanya Lereya nachgegangen.
Das Ergebnis: Kinder, die gemobbt werden, leiden still. Das Trauma kann jedoch zu Ängsten, Depressionen, Psychosen oder im schlimmsten Fall auch zum Suizid führen. Allerdings gibt es Anzeichen, die auf Mobbingopfer aufmerksam machen können. Dies eröffnet die Chance, zu helfen, bevor es zu ernsten psychischen Problemen kommt.
Laut einer Langzeitstudie, die nun beim Jahrestreffen der Pädiatrischen Gesellschaft in Vancouver (Kanada) präsentiert wurde, leiden Zwölfjährige dann vermehrt unter Alpträumen und Nachtschreck, wenn sie als Acht- bis Zehnjährige in der Schule gemobbt wurden. "Alpträume kommen relativ häufig vor, Nachtschreck betrifft höchstens zehn Prozent der Kinder", skizzierte Studienautorin Lereya. Treten diese wiederholt oder über einen längeren Zeitraum hinweg auf, könnte dies ein Anzeichen für Mobbing - meist unter Gleichaltrigen - sein. Für ihre Studie (Avon Longitudinal Study of Parents and Children) begleiteten die Wissenschafter knapp 6500 Kinder von ihrer Geburt bis zum zwölften Lebensjahr. Zu diesem Zeitpunkt litt rund ein Viertel der Kinder unter Alpträumen, knapp zehn Prozent waren von Nachtschreck betroffen und zwölf Prozent berichteten über Schlafwandeln.
Nachtschreck, auch Pavor Nocturnus genannt, ist eine Form der Schlafstörung, die sich in plötzlichem, angstvollem Aufwachen zeigt. Das Kind schreckt mit einem Schrei aus dem Tiefschlaf hoch und ist häufig bis zu 15 Minuten lang nicht ansprechbar. Erinnern kann es sich oft gar nicht, oder nur bruchstückhaft.
Wolke rät Eltern zu vermehrter Aufmerksamkeit, um im Fall der Fälle mit ihrem Nachwuchs darüber sprechen zu können. Auch Praktiker, wie Psychologen oder Ärzte, sollten Alpträume als mögliche Frühzeichen von Mobbing in Betracht ziehen.
Für die Experten ist klar, dass Mobbing nicht einfach als normaler Teil des Erwachsenwerdens gesehen werden kann. Es kann ernste Konsequenzen für die geistige Gesundheit und die weitere Sozialisierung nach sich ziehen. "Mobbing geht unter die Haut, beeinflusst die Verarbeitung von Stress und erhöht das Risiko für chronische Entzündungen", betont Dieter Wolke.
Fiese Geschwister
Es sind allerdings nicht nur die Schulkollegen, die Probleme bereiten können. Auch unter Geschwistern ist Mobbing immer wieder ein Thema. Kinder, die schon von ihren Geschwistern drangsaliert wurden, sind auch später eher das Ziel von Attacken, berichtete der Entwicklungspsychologe im Fachblatt "Child Abuse and Neglect".
Ebenso sind besonders überbehütete oder auch extrem streng erzogene Kinder eher der Gefahr ausgesetzt, ein leichtes Opfer zu werden. "Jeder konzentriert sich auf die Schulen, doch Mobbing beginnt häufig schon zu Hause", so Wolke.
Kinder würden sehr wohl die Unterstützung ihrer Eltern, sie aber nicht als Schutzmauer vor negativen Ereignissen benötigen. Es sei wichtig, schon in jungen Jahren unter Anleitung Bewältigungsstrategien entwickeln zu können, betont der Entwicklungspsychologe. Umso verwundbarer sich Kinder nämlich präsentieren, indem sie etwa nach einer Attacke schreiend davonlaufen, desto beliebter sind sie als Opfer. Eltern könnten hier mit klaren Verhaltensregeln unterstützend zur Seite stehen.
Wissen
Unter Mobbing versteht man Psychoterror am Arbeitsplatz. In der Schule (dort auch "Bullying" genannt) bedeutet es ein gegen Schüler gerichtetes Schikanieren, Ärgern, Angreifen und Bloßstellen. Manche Mobbingforscher unterscheiden zwei Idealtypen von Mobbingopfern an Schulen: das passive und das provozierende Opfer. Laut anderen Experten liegt Bullying nicht an bestimmten Täter- und Opfertypen, sondern am jeweiligen Schulklima.