Der Onlinehandel ist für die Möbelbranche Herausforderung und Chance zugleich.
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Wien/Köln. Für den stationären Möbelhandel war die Digitalisierung lange Zeit kein Thema. Als zu problematisch sahen viele den Verlust des haptischen Erlebens, die schwierige Logistik und die schwer zu stemmende Retouren-Problematik. Dass der Onlinehandel nun vermehrt auch die Einrichtungsbranche erreicht - in Österreich entfallen derzeit rund neun Prozent des Branchenumsatzes auf Einkäufe im Netz -, ist vor allem den veränderten Ansprüchen der Kunden geschuldet.
Eine Umfrage unter deutschen Konsumenten zu ihren Erfahrungen beim Möbelkauf durch den Unternehmensberater KPMG spricht da eine deutliche Sprache: Der Kunde von heute hadert aus vielerlei Gründen mit dem stationären Möbelhandel. Jeder dritte Konsument bemängelt zu wenig Personal, lange Wartezeiten und mangelnde Produktqualität. 40 Prozent der Smartphone-Nutzer ärgern sich über veraltete Geschäfte und verstaubte Angebote. "Den häufigen Internetnutzern missfallen außerdem oft die, in ihren Augen zu langen Lieferzeiten im Möbelhandel", sagt Mark Sievers, Head of Consumer Markets bei KPMG. "Im Zeitalter des Kaufens per Mausklick und der Sofortlieferung frei Haus ist das nicht verwunderlich, bedeutet aber eine große Herausforderung für den Fachhandel." Der Ausweg sei eine umfassende Digitalstrategie, neue Geschäftsmodelle und zeitgemäße Marketingkanäle. "Diese werden für den stationären Möbelhandel zunehmend zu einer Frage des Überlebens", ist man bei KPMG überzeugt.
Ein Befund, den Hubert Kastinger, Obmann des österreichischen Einrichtungsfachhandels, nur bedingt gelten lässt. "Gerade im Möbelhandel gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem deutschen und dem österreichischen Markt", so Kastinger zur "Wiener Zeitung". "In Österreich gibt es viele kleine Einrichtungsfachhändler, nicht selten in Verbindung mit einer Tischlerei. Denen fehlen für eine klassische Multichannel-Strategie oft die Kapazitäten." Was nicht heißen soll, dass zeitgemäße Marketingkanäle unwichtig wären. "Auch eine gut aufgebaute Website mit entsprechenden Suchmaschinentreffern kann eine zeitgemäße Marketingstrategie sein", betont Kastinger.
Hoffnung auf mehr Umsatz
Ist eine breite Onlinepräsenz für kleine Einrichtungshäuser oft noch schwierig, verbinden die Big Player im heimischen Möbelhandel - XXXLutz, Kika/Leiner und Ikea - mit der Digitalisierung vor allem die Hoffnung auf mehr Umsatz. So gab Kika/Leiner-Chef Gunnar George Anfang 2018 im Zuge eines Restrukturierungsplans der Gruppe bekannt, den Umsatzanteil des digitalen Geschäftes in den nächsten zwei Jahren von derzeit 0,4 Prozent auf fünf bis acht Prozent hochschrauben zu wollen.
Ist Online also auch für die Möbelbranche die Zukunftsstrategie? "Für den Einrichtungsfachhandel ist ganz allgemein eine Spezialisierung auf ein oder mehrere Kerngebiete wichtig, und das kann auch eine Spezialisierung auf Onlinepräsenz oder Multichannel sein", glaubt Hubert Kastinger. "Man darf aber nicht vergessen, dass speziell im reinen Onlinehandel ein sehr starker Preiswettbewerb stattfindet." Durch die Rabattschlachten der vergangenen Jahre sei es für Kunden mittlerweile sehr schwierig geworden, die Preiswahrheit herauszufinden. "Eine der wichtigsten Herausforderungen wird sein, dem Kunden diese Preiswahrheit wieder näherzubringen."
Möbel zum Angreifen
Fakt ist, dass Online schon jetzt am stationären Möbelhandel sägt. Laut einer Studie des Kölner Handelsforschungsinstituts ECC droht jedem dritten deutschen Möbel- und Einrichtungsgeschäft dank Onlinehandel bis 2020 das Aus. Angesichts der 2,7 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche, die laut dem Marktforschungsunternehmen "RegioPlan" dem heimischen Möbelhandel zur Verfügung stehen, wird wohl auch hierzulande das eine oder andere Möbelhaus geräumt werden (müssen). Dabei ist das Konzept des Showrooms trotz des zunehmenden Onlinehandels keineswegs obsolet. Immer noch will die Mehrheit der Kunden Möbelstücke vor einer Kaufentscheidung "in Natura" begutachten. "Die kaufentscheidenden Hauptmerkmale unserer Produkte sind neben der Funktionalität die Optik und die Haptik", betont Spartenvertreter Kastinger. "Proportionen und Haptik von Möbelstücken lassen sich aber online kaum darstellen. Anders ist das bei Kleinmöbeln und Dekorationsartikeln, die man nicht unbedingt live sehen muss, um eine Kaufentscheidung zu treffen."
Speziell bei großen Möbeln werde der reine Onlinehandel dem stationären Fachhandel also nicht so schnell den Rang ablaufen. Dass neue Technologien wie Virtual und Augmented Reality das digitale Möbelshopping gerade revolutionieren, ist freilich auch Kastinger bewusst. "Virtual Reality im Einrichtungsfachhandel ist sicher einer der größten Trends. Gerade wenn es darum geht, ganze Wohnräume oder ganze Wohnungen einzurichten, können Virtual-Reality-Umgebungen eine große Hilfe sein."
Überlegen ist der stationäre Handel dem Onlinebereich nach wie vor dort, wo nicht nur Produkte, sondern auch Dienstleistungen wie Beratung und Planung angeboten werden. Für die Branche ist dieser Umstand sowohl Chance als auch Gefahr. "Fast 60 Prozent der Konsumenten würden laut unserer Studie einen Kauf im Möbelhaus abbrechen, wenn sie dort schlecht beraten werden", gibt KPMG-Experte Sievers zu Bedenken. "Das unterstreicht, wie wichtig es ist, potenzielle Kunden vor Ort durch gut geschultes Personal mit ihren Bedürfnissen abzuholen. Wie in anderen Branchen besteht auch für die Einrichtungsbranche Handlungsbedarf, um das Verkaufspersonal zu einem Erfolgsfaktor und nicht zum ‚Sargnagel‘ des stationären Handels zu machen."