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Mobile Migranten

Von Peter K. Wagner

Politik

Dass Flüchtlinge Smartphones besitzen, ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar.


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Die Diskussionen begannen stets mit einem Foto. Menschen mit Fluchterfahrung, am Boden eines Bahnhofs sitzend, am Grenzübergang wartend oder in einem Auffanglager liegend. Mit einem Protagonisten in der Hand: dem Smartphone. "Aha! Wie geht das denn bitte?" Erzürnt fragte der gemeine österreichische Wutbürger, wie sich jemand, der doch nichts hat, einen derartigen Luxusartikel leisten könne?

Die Antwort kennt unter anderem Katja Kaufmann, Forschende am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie veröffentlichte eine Studie über die Bedeutung von Smartphones für syrische Flüchtlinge. "Die Wahrnehmung, dass es sich dabei um einen Luxusartikel handelt, kommt noch von jener Zeit, in der die Geräte allesamt Luxusartikel waren. Heute gilt dies nur mehr für die neusten Highend-Modelle", erklärte Kaufmann vergangenes Wochenende am Gegenwartsdiskursfestival Elevate in Graz, wo sich eine ganze Veranstaltung dem Thema "Kommunikationstechnologien und Migration" widmete.

Es ist einfach, ein Handy mit Solarenergie aufzuladen

Die Wissenschaftlerin führte weiter aus: Außer Acht gelassen würde bei der Smartphonediskussion, dass es einerseits einen großen Markt für Second-Hand-Geräte gäbe, und andererseits findige Unternehmungen technisch minderwertigerer Smartphone in Luxusklassenoptik auf den Markt werfen. Kommunikationstechnologie ist heute nicht nur in Syrien, sondern auch in ärmeren und - aus westeuropäischer Sicht - weniger entwickelten Ländern Afrikas oder Asiens wesentlich näher dran an jener Mitteleuropas als noch vor einigen Jahrzehnten. Denn anders als ein flächendeckendes Telefon- und Stromnetz sind Handymasten vergleichsweise einfach aufzustellen und dank Solartechnologie sind Akkus zusätzlich simpel aufzuladen. "Es war für mich überraschend, wie ich im Sommer 2015 Menschen mit Fluchterfahrung mit groß ausgebreiteten Solarzellen sah. Selbst mir war diese Art des Handyladens noch gar nicht richtig bewusst", erklärte beim Elevate der Migrationsforscher Marc Hill von der Universität Innsbruck.

Hill und Kaufmann wissen aber auch, dass Kommunikationstechnologie für Migranten weitaus mehr ist als leistbarer Luxus. Die Studie von Katja Kaufmann kam zu einem naheliegenden Ergebnis, das sich schon im Studientitel ablesen lässt: "Das Smartphone ist das wertvollste Ding, das ich besitze." Gerade für Menschen auf der Flucht sind GPS-Ortung und Kartendienste von großer Bedeutung. Außerdem erlaubt das Gerät, mit der meist noch im Kriegsgebiet befindlichen Familien in Kontakt zu treten oder wichtige Dokumente digital zu sichern. Auch nach Ankunft am Zielort würden Handys mit App- und Internetfunktion intensiv genutzt. Für Übersetzungen, Sprachkurse und Youtube-Tutorials. Und einmal mehr sind bald Ortungsdienste wieder von Bedeutung. Jeder Tourist kennt die Sicherheit, die eine Kartenapp mit GPS-Signal im Ausland ausstrahlt. "Dieses Sicherheitsgefühl können Smartphones auch Migranten bieten", sagt Marc Hill, für den nicht nur die Diskussion über Touchscreenhandys zu kurz greift.

Die Smartphone-Nutzung im virtuellen Social Network

Wie jeder Tourist hat auch jeder Migrant das Problem, zwar durch das Smartphone auf ein virtuelles soziales Netzwerk zurückgreifen zu können, aber von einem realen sozialen Netzwerk weit entfernt zu sein. Doch die Frage der Integration und Inklusion gehe noch weiter. "Es gibt Studien, die erkannt haben, dass es etwa keine klaren Marketingaussagen zu bevorzugt von Migranten genutzten Fernsehsendern gibt", sagt Hill. Wie wissenschaftliche Kollegen plädiert auch er für ein Umdenken in der Migrationsfrage. "Eigentlich geht es um die Analyse von Machtverhältnissen. Wir sollten soziale Ungleichheitsforschung betreiben und nicht Migrationsforschung."

Doch gerade der gemeine österreichische Wutbürger hat bei den Diskussionen um die Smartphones der Flüchtlinge bewiesen: So weit sind wir noch lange nicht. Und das ist weniger als Anklage zu verstehen, sondern vielmehr als Auftrag. Für Medien wie Politik. Und auch die Wissenschaft, die gerne weiterhin Offensichtliches mit Studien belegen darf.

Die "Wiener Zeitung" war ein Kooperationspartner des Elevate Festival 2017. Die Veranstaltung "Kommunikationstechnologien und Migration" wurde von "Wiener Zeitung"-Redakteurin Eva Zelechowski moderiert.