Man trifft sie überall. Sie haben eine eigentümliche, seltsam verkrümmte, abgewendete Körperhaltung. Präpotent laut sprechend oder dezent flüsternd ist ihr Blick in die Ferne gerichtet. Sie pressen ein Mobiltelefon (hierzulande herzigerweise Handy genannt) mit Hand oder Schulter ans Ohr und sind geistig abwesend, eingetaucht in die Anderswelt drahtloser Kommunikation.
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Gerade schauen sie dir noch freundlich ins Gesicht - im nächsten Moment bist du vergessen und weg. Der Klingelton zerschneidet Gespräche und spaltet Gruppen in plötzlich abwesende, irgendwie abgehoben Telefonierende und verlegen um sich blickende Nicht-Telefonierende. Nichts macht unsere moderne Fähigkeit zum grausam blitzartigen Liebesentzug deutlicher.
Dass dieses sehr globale, zwischen hier und dort nicht unterscheidende Verhalten zur selbstverständlichen gesellschaftlichen Konvention wird und zu einem Durchbruch in ein neues Zeitalter allseitiger Verbundenheit, Gleichstellung und Friedfertigkeit führt, ist zu bezweifeln. Handy-Nutzung hat allzu menschliche Motive. Vor allem im Berufsleben:
* Prestige: Der sichtbare Stolz, mit dem Führungskräfte ihr (Top-Marken-)
Handy wie duellsüchtige Westernhelden den Colt vor sich auf den Besprechungstisch legen und "tschuldigung, nur wegen dem Ministerbüro, sonst nehm ich nix" sagen, spricht Bände.
* Machtdemonstration: Der Wichtigste in einer Runde kann nach gängiger Rang-/Hackordnung jederzeit anrufen oder angerufen werden, die anderen warten dann mehr oder weniger betreten. Anderen mit Handy-Unterbrechung die Zeit stehlen darf aber nur der Chef.
* Zeit sparen: Im Auto dringende Gespräche zwischendurch erledigen, um nachher mehr Zeit für andere Arbeit oder Privates zu haben - klingt plausibel. Aber: Wie viel Smalltalk und Tratsch werden dabei auch transportiert? Wegen welcher Lappalien wird angerufen? Könnte man im Auto nicht auch auf den Verkehr achten, die Landschaft genießen, Ö1 hören oder im Geist Ideen und Konzepte entwickeln?
* Kontrollanrufe: Sie lassen eher an Unsicherheit, mangelndes Vertrauen, schlechtes Delegieren und bloße Neugier denken als an effizientes Management. Die häufige, fast barsch gestellte Einleitungsfrage "Wo bist du?" verdrängt mehr und mehr den Gruß und das teilnahmsvolle "Wie gehts?".
Die Handy-Nutzer sind also nicht nur Vorreiter einer wertvollen, alle verbindenden Kommunikation, sondern als allseits präsente Abwesende auch Zeichen für fehlende Bodenhaftung, haltlose Ausschweifung, Flucht vor der Realität, Sehnsucht nach (tatsächlich unerfüllbarer) Kontrolle und Urängste.
Wir alle tragen die Verantwortung dafür, dass die technische Segnung des Mobiltelefons nicht zum Fluch für unsere menschlichen Beziehungen und damit die Welt wird. Immer wenn Menschen eine große Innovation starten, dauert es eine Weile, bis sie damit richtig umgehen können. In greifbarer Nähe zur Post-Wachstumsgesellschaft sollten wir die Nachhaltigkeitsaspekte des Handys diskutieren und zu einer Nutzungskultur finden, die weniger dominiert und verletzt und mehr Achtsamkeit aufbringt.
(Da ruft mich meine Frau mit ihrem Handy auf dem Festnetz-Telefon an und sagt: "Ich hab dich so lieb." In dem Moment ist für mich das Mobiltelefon die beste Erfindung aller Zeiten.)
Wolfgang Lusak ist Lobby-Coach und besitzt kein Mobiltelefon.