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Mode für graue Tage

Von Verena Franke & Brigitte Suchan

Reflexionen

Wenn es nach den Modedesignern geht, die in den letzten Wochen in New York, Mailand und Paris ihre Vorstellungen für die kommende Herbst- und Wintersaison präsentiert haben, dann wird "Frau" sich warm anziehen müssen.


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Hochgeschlossen und kniebedeckt stolzierten die Models auf atemberaubend hohen Plateauschuhen über die Laufstege, Vivienne Westwood, für ironische Statements immer gut, verpasste einigen ihrer Mannequins gleich Stelzen. Von den Schuhen einmal abgesehen, die normale Fortbewegung eher schwierig gestalten dürften, ist es eine Mode für die selbständige, berufstätige und rundum selbstbestimmte Frau, die bei den Pret-à-Porter-Schauen vorgestellt wurde. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Kostüme, Hosenanzüge, Kleider und Mäntel überraschend tragbar, ja schon konservativ zu nennen, wenn nicht sogar langweilig. Es dominieren die Farben Schwarz und Grau, für Farbtupfer sorgen vor allem Beige, Violett und Pink. Ausgefeilte Schnitte lassen Materialien wie Samt, Tweed und Leder frisch und elegant wirken, schimmernde Satinseide wird zu klassischen Schlupenblusen und - wie bei Donatella Versace - zu fließenden Kleidchen in Beerenfarben verarbeitet. Bis auf wenige Ausnahmen umspielen die Rocklängen das Knie, reichen oftmals bis zur Wade oder gar bis zum Knöchel. Manche Designer, wie etwa John Galliano für Dior, zitieren mit schmalen Etuikleidern und knappen Kostümen ausgiebig die 70er Jahre, Dolce & Gabbana huldigen dem Country-Look, angeblich inspiriert vom Film "The Queen", Roberto Cavalli und Guccis Designerin Frida Giannini haben den Folkore-Look für sich entdeckt. Lässigen Chic aus edlen Materialien findet man einmal mehr bei Armani - nicht sehr abwechslungsreich aber zeitlos schön.

Wie schon die Jahre davor erregte das Thema Magermodels auch heuer wieder die Gemüter. Bei der Madrider Modewoche wurden wieder mehrere Mädchen von den Schauen ausgeschlossen, weil sie den vorgeschriebenen Body-Mass-Index (BMI) von 18 deutlich unterschritten. Der Vorstoß der Madrider Modewoche, zu dünne Frauen vom Catwalk zu verbannen, wurde zwar von den Organisatoren der Mailänder Modeschauen vor zwei Jahren übernommen, doch mehren sich die Stimmen unter den Organisatoren, die die Gewichtskontrolle sowie eine Altersgrenze von 16 Jahren für Models als überflüssig betrachten. Wie erotisch ausgemergelte Mädchen mit dunklen Rändern unter den Augen wirken, sei dahingestellt.

Damenhaft und elegant. Blasse und extrem dünne Mannequins präsentierten etwa den neuen Look der Kultdesignerin Miuccia Prada: Spitze wohin das Auge blickt. Kleider, Pullunder, Röcke, Blusen, Mäntel und Taschen aus Schweizer Couture-Spitze zeigen ein züchtiges Alltags-Outfit in Kombination zu klaren, einfachen Schnitten. Die Farbwahl ist gedeckt und eher erdig mit meist orangen oder roten Farbtupfen hie und da.

Und auch Roberto Cavallis Mode wirkt fast bieder, von seinen aufmüpfigen sogenannten Animal-Prints, die übrigens auch für H & M zum Kassenschlager wurden, ist keine Spur. "Für sinnliche Frauen" beschreibt er seine jüngste Kollektion, für die er von Natalie Wood und den romantischen 1950er Jahren inspiriert wurde. Das Ergebnis: Kleider, die mit aufgestickten Rosenblüten und luftigen Volants an 50er-Jahre-Cocktailroben erinnern. Sehr damenhaft und elegant.

Sogar Donatella Versaces Schau in Mailand wirkte gezähmt und der Eleganz verschrieben. Inspiriert von einer Berlin-Reise bringt sie in Violett, Pink und Hautfarben schimmernde lange sowie raffinierte kurze Kleider auf die Bühne. Gebändigt werden die fließenden Stoffe durch Bänder, die sie asymmetrisch am Rücken bindet.

Was wäre die Mailänder Modewoche ohne den Altmeister der Grazie: Giorgio Armani. Der Designer überraschte vor allem mit seiner Hauptkollektion. Er präsentierte einen bunten Zigeuner-Look mit Blumenmustern, weiten Röcken und Fransentüchern. Dennoch enttäuschte Armani seine Stammkunden nicht: Seine typischen weiten Hosen und noblen Bleistiftröcke demonstrierten einmal mehr seinen klassischen Stil.

Eine ähnliche Performance lieferte auch Frida Giannini für Gucci. Sie ließ sich für die aktuelle Kollektion mit Folklore-Touch von osteuropäischen Emigranten der 1920er Jahre inspirieren. "Ich dachte an einen Mix aus Bohemian und Rock´n´Roll mit einem deutlichen Hang zur Dekadenz", erklärte die Designerin. Dafür verwendete sie vor allem dunkle Samthosen mit bedruckten Tops kombiniert, aufgepäppelt mit Nieten- oder Ledergürtel und schweren Stiefeln, die weit über das Knie reichen.

Jil Sander zeigte anlässlich des Mailänder Defilees eine Kollektion, deren Hauptaugenmerk offenbar auf dem Oberkörper liegt: Zu sehr schmalen Hosen entfalten sich Jäckchen wie geöffnete Blütenblätter um die Schultern. Eine puristische, farblich einfache, aber dennoch sinnliche Kollektion.

Für die Pariser Modemacher steht allen voran John Galliano, der bei seiner Schau für das Designerhaus Dior die 60er Jahre wiederaufleben ließ. Die hochtoupierten Haare erinnerten an Jane Fonda und ihre Barbarella-Figur: schmale Etuikleider in kräftigen Rot- und Orangetönen mit Stickereien in Form von Metallplättchen und Glassteinen mit kleinen Lederhandschuhen und großen Handtaschen. Ladylike wirkten die kurzen Nerzjäckchen oder Jackenkleider à la Jackie Kennedy aus kupferfarbenem Satin.

Schau ist nicht gleich Schau und Mode nicht nur dekadentes Luxusgut, wie die Top-Designerin Vivien Westwood auf der Londoner Modewoche einmal mehr unter Beweis stellte: Mit orangefarbenen Slips, die den Slogan "Fair Trial My Arse" (etwa: "Ein fairer Prozess? Totale Verarschung!") tragen, setzte sie sich für die Schließung des Gefängnisses auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba ein. Neben den Guantanamo-Unterhosen stellte Westwood auch ihre "Red Label"-Kollektion für den kommenden Winter vor. Sie habe sich von den 70er Jahren in London inspirieren lassen. Ihre Entwürfe: Neben punkig-schrillen T-Shirts trugen die Models knapp sitzende Wollkleider, Overknee-Stiefel und Kleider im traditionellen Schottenmuster.

Im Großen und Ganzen ist die nächste Herbst- und Wintersaison für jede Frau tragbar, Modelmaße sind für die meisten Designerstücke nicht notwendig. Auch der heimische Promi-Designer Thang De Hoo ist dieser Ansicht: "Man muss hier deutlich zwischen Laufsteg-Look und Wirklichkeit differenzieren." Denn in Wirklichkeit, so De Hoo, pickt man sich ein oder zwei Teile heraus, die man dann unterschiedlich kombiniert. Na dann, der nächste Herbst kann kommen!