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MODE IN DER KRISE?

Von Kurt Geisler

Reflexionen
Ein Bustier aus Zelluloid . . .
© Stephan Hann

Auch ohne Krise auf den Finanzmärkten und in der realen Wirtschaft verabschiedet sich ein Modetrend nach dem anderen immer zeitgleich mit der Saison. Manchmal wechseln die Modemacher gar noch schneller - für den Modeappetit zwischendurch. Das Thema "Änderung" ist nicht allein Sache des Schneiders, sondern eines ganzen Wirtschaftszweigs. Wenn aber Gefahren eines wirtschaftlichen Stillstands drohen oder gar des Kaufkraftverlustes, dann ist Kreativität erst recht gefordert. Stillstand ist undenkbar und wäre tödlich. Die Branche reagiert jedoch gespalten.


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Auch die Konsumenten verhalten sich recht unterschiedlich. Völliger Verzicht auf Mode? Nein, danke. Die chinesischen Schriftzeichen für Risiko und Chance liegen eng beieinander und werden in der westlichen Welt gleich gesetzt. Ein psychologisches Hilfsmittel, das die Mode bereitwillig aufgreift. So nimmt sie die Krise gern als Chance wahr. Dem folgt bedenkenlos der clevere Verbraucher.

Keine Spur von Krise auf der "Luxory"-Messe in München.

Zwar übt sich die breite Mehrheit vielfach in Kaufzurückhaltung oder geht auf Sparkurs, ein Trend, den auch die Modeketten und manche Designer mit ihren Angeboten mitmachen. Man folgt dem Zeitgeist und setzt auf Tragbares. Demonstrativer Protz ist verpönt. Aktuelle Trends werden eher massentauglich gemacht durch erschwingliche Zwischenkollektionen. So wird auch manches bekannte Top-Label, mithin Luxus, bezahlbarer.

Sonderangebote werden wichtiger. Es herrscht Schnäppchenstimmung in der Modebranche. Manche modeverrückte Kundin kauft klugerweise eine Kopie von Zara anstatt das Original von Armani. Hilfreiche Moderedakteure empfehlen ihren Leserinnen die "Mix & Match-Idee". Das soll heißen: Man kombiniert ein Superlabel mit einem Teil aus dem Kaufhaus oder von H&M. "Smart Shopping" nennt der Fachmann dieses Kaufverhalten.

Man gönnt sich ja sonst nichts

Nicht alle sind von der Krise betroffen. Und sie reagieren anders. "Gerade in diesen Zeiten brauchen Menschen etwas Schönes", meint Emmanuel de Bayer vom Berliner Concept Store "The Corner". Jetzt gebe es eine Chance für richtige Mode. Die von allem Spardenken Unberührten tanzen weiterhin auf der Titanic. Und wie! Auf der LUXORY, kein Traumschiff, sondern eine Ausstellung für Luxusprodukte in München, gab es einen unerwartet großen Besucher-Andrang. Beim Reise-Counter etwa hieß es: "Von Finanzkrise keine Rede. Luxus ist gefragt." Und weiter: "Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gönnt man sich gerne was. Ein schöner Urlaub oder auch ein gutes Essen sind die Form des Luxus, die man sich gerne leistet".

. . . oder die "Financial Times" als Kleidschleppe.
© Stephan Hann

Der wahre Luxus boomt. Das zeigt zumal die Schmuckbranche, wo Massivgold- oder sogar Diamantuhren gefragter sind denn je. Umsatzsteigerungen gibt es auch bei internationalen Toplabels der Mode. "Die Werterhaltung spielt als Kaufargument eine immer wichtigere Rolle." Selbst die Kaufhauskonzerne Karstadt und Kaufhof setzen verstärkt auf ein gehobenes Sortiment, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Begründung: das verstärkte Marken- und Qualitätsbewusstsein im Kaufverhalten der Kunden.

Geldausgeben mit Spaßcharakter

Zugleich macht sich ein neuer Vermarktungs-Trend von Luxusgütern bemerkbar. So genannte Shopping Events sollen den Einkauf zum Erlebnis machen. Glamouröse Insidertreffs oder Szene-Partys dienen dem Ankurbeln von Umsatz.

"Wir wollen nicht nur Ware verkaufen, sondern Träume, nicht nur Labels, sondern Kunst. Wir wollen inspirieren", verkündet Patrice Wagner, Chef des Berliner Luxuskaufhauses KaDeWe. Natürlich zum Kaufen, aber subtil. So wandelt sich die bloße Präsentation zunehmend in Meetings von interessanten, ausgesuchten Kunden in den Geschäftsräumen der Modehäuser und Edelboutiquen. Anlässe: Eröffnungen, Premieren, Jubiläen, neue Kollektionen oder der kürzliche Start eines Luxusboulevards im KaDeWe mit allen Topmarken dieser Welt. Shopping auf höchstem Niveau.

Bei gelockerter Party-Atmosphäre mit Champagner, Fingerfood und Swingmusik schaut man sich um, probiert und vergleicht - ähnlich einer Vernissage in einem Künstler-Atelier. Die Erwartungen der Veranstalter bleiben nüchtern. Das eigentliche Shopping kann später folgen. So wird aus der Party ein Shopping und umgekehrt. Dass bei solchen Events auch die Männer angesprochen werden, ist logisch, ja psychologisch. Die Animation zum Geldausgeben kann attraktiver nicht sein.

Recycling-Look

Weniger exklusiv, aber nicht minder aufregend ist das, was der in Berlin und Paris lebende und arbeitende Modekünstler Stephan Hann in diesen Zeiten zeigt. Abgelegtes, Verbrauchtes oder Vergessenes transformiert er zu wahren Kunstwerken und schafft aus Resten und Wegwerf-Artikeln verblüffende, neuartige wunderschöne Kleider. Kein Material ist vor ihm sicher. Er verarbeitet alles, was er in die Finger kriegt. Seine Stoffmessen sind die Flohmärkte, mehr aber noch unsere Konsumwelt mit ihrem Abfall und Unrat.

Da werden Papier, Tetra Pak, Plastiksäcke, Silberfolien, Alupapier, Tablettenverpackungen, Etiketten, Rosenblätter, Druckerpapier, Plastikfolien, Zeitungspapier, Zigarettenschachteln, Tapestreifen, Paketband oder Zelluloidstreifen zu erstaunlichen Kreationen entwickelt. Es dürfen aber auch schon mal Seiten ausgedienter Telefonbücher oder Comic-Hefte sein. Selbst vor Schoko-Papier und Architekturplänen schreckt er nicht zurück, um daraus opulente Abendroben zu zaubern. "Papier fasziniert mich besonders, weil es ähnlich wie Stoff und doch ganz anders ist", sagt der Künstler.

Der Mode-Materialist verarbeitet die Oberflächen und Strukturen der Werkstoffe aufwendig und handwerklich geschickt zusammen. Mit Esprit, Humor und Kreativität. Seine Werke nennt er zu Recht "Couture remixed".

Wertvolle Kleider aus wertlosen Materialien

Mit normalen Stoffen umzugehen weiß der Designer ohnedies seit seiner Ausbildung zum Herrenmaßschneider an der Deutschen Oper Berlin. Das anschließende Studium von Mode und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee erschloss ihm dann die vielfältigen Möglichkeiten, sich in Formen vergangener Modeepochen

auszudrücken. Seine eigentliche Bestimmung aber fand er in frühen Begegnungen mit Kriegerwitwen in einem Berliner Altersheim, das seine Mutter leitete. Dort erfuhr der junge Stephan, welche Kunststücke die Menschen nach dem Krieg machen mussten, um aus kaputten, zerstörten Sachen neue, gebrauchsfähige Artikel zu schaffen.

Tief beeindruckt, wählte er später den schwierigen Weg, um aus wertlosen Materialien wertvolle Kleider zu fertigen. Bereits als Schüler begann Stephan Hann mangels Geld extraordinäre Modeobjekte aus Papier in Kombination mit Stoff zu kreieren. Als Student entwarf er mal ein Kleid aus 3000 Eicheln. Nach dem Studium ging er nach Paris, um in der "Stadt der Mode" seine Möglichkeiten auszuprobieren.

Mode zum Nachdenken

Sämtliche Modelle sind Unikate, zumeist als Auftragsarbeiten entstanden. Dazu verwendet er auch Fundstücke von Flohmärkten, wie historische Kleidungsstücke oder Stofftaschentücher. Er verbindet profane Verpackungen mit glamourösen Stoffen - schon entsteht eine neue tragbare Eleganz. Das Material inspiriert ihn immer wieder zu Neuem. Da kreiert er aus Militärgeldbörsen ein Sexykleid, spiegelt für den Verlag Gruner & Jahr per Mode deren Produkte wider - ein "Stern"-Kleid im Sternmuster oder eine Robe aus Zelluloidstreifen. Für Moët & Chandon entwirft er Outfits aus Champagnerkorken und -etiketten, für Swarowski edle Luxusaccessoires. Oder er verstrickt Elektrodrähte zu einem strukturierten Rock. Ein wahrhafter Modeschöpfer.

Irgendwie passen Stephan Hanns Sicht und seine Arbeitsweise exakt in unsere heutige Zeit. Denn eine Rückbesinnung auf eigentliche Werte stünde einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft gerade in Momenten der Krise ziemlich gut an. Durch die Wiederverwendung gebrauchter Materialien haucht er diesen quasi ein zweites Leben ein und macht scheinbar Nutz- und Wertloses schön und kostbar. Und bewirkt bei uns eine neue Sichtweise. Ob beabsichtigt oder nicht: Der Modekünstler stichelt ganz schön gegen die Gedankenlosigkeit unserer Gesellschaft.