Istanbul/Wien - In den langen Jahren des Zypern-Konflikts schlossen sich die Grundpositionen von Griechen und Türken stets gegenseitig aus: Während die griechische Seite unter Präsident Glafcos Clerides einen gemeinsamen Staat auf der geteilten Insel anstrebte, pochten die Türken unter ihrem Volksgruppenführer Rauf Denktas auf die Feststellung, dass es zwei Völker und auch zwei Staaten auf Zypern gebe. Mit dem Beginn der direkten Friedensverhandlungen beginnt sich dieser Gegensatz aufzulösen. Zum ersten Mal gibt es jetzt ein Modell für ein Staatsgebilde, das beide Seiten zufrieden stellen könnte: die "Vereinigten Staaten von Zypern". Türkischen Presseberichten zufolge wurde der Plan unter anderem in Österreich ausgehandelt.
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Clerides und Denktas verhandeln seit der vergangenen Woche im Niemandsland der geteilten Hauptstadt Nikosia über eine Friedenslösung und gehen offenbar sehr systematisch an die komplizierte Materie heran: Die beiden Politiker wollen zwei Aufgabenlisten fertigstellen, um eine Art Fahrplan für die kommenden Verhandlungsrunden zu haben.
Eine Liste mit vergleichsweise einfach zu lösenden Problemen soll bis März abgearbeitet sein, die zweite Liste mit den ganz besonders harten Nüssen des Zypern-Konflikts bis Ende Juni.
Beim Abhaken der Aufgabenlisten könnte das Modell für die "Vereinigten Staaten von Zypern" behilflich sein, das auf Initiative der "Stiftung für Weltfrieden" an der amerikanischen Harvard-Universität erarbeitet worden ist. Unter Leitung von Stiftungschef und Harvard-Professor Robert Rotberg haben je sechs Vertreter von Griechen und Türken - darunter die Tochter von Clerides und sein Regierungssprecher sowie ein führender türkisch-zypriotischer Politiker - seit Mai 1999 in vertraulichen Sitzungen an der Staats-Konstruktion gebastelt. Nun schlägt die Gruppe die Bildung eines Bundesstaates mit einem griechischen und einem türkischen Bundesland auf Zypern vor.
Das jüngste Treffen Rotbergs mit den griechischen und türkischen Unterhändlern soll vom 7. bis zum 9. Dezember in Baden bei Wien in Niederösterreich stattgefunden haben. Die türkische Zeitung "Sabah" veröffentlichte jetzt drei Fotos, die die Verhandlungsteilnehmer gut gelaunt und in trauter Runde im Konferenz-Zimmer, beim Stadtbummel und beim gemeinsamen Tafeln in Baden zeigen.
Die auf den Fotos erkennbare gute Atmosphäre hat offenbar Wirkung gezeigt: "Eine Reihe von kreativen neuen Ideen" seien in der Runde entwickelt worden, teilte die Friedens-Stiftung mit. Diese Ideen könnten nun in den Verhandlungen von Clerides und Denktas in Nikosia dabei helfen, eine Antwort auf die knifflige Frage zu finden, wie ein gemeinsamer Staat ihrer Volksgruppen auf Zypern aussehen könnte. Im Außenministerium in Wien hieß es dazu auf Anfrage der APA, es sei soweit nur bekannt, dass es in Österreich in den 70-er- und 80-er-Jahren Gespräche zur Zypern-Frage gegeben habe. Über jene Treffen, die den Medienberichten zufolge mehrmals in den vergangenen zweieinhalb Jahren stattgefunden haben sollen, wisse man vorerst nichts. Der Sache werde aber nachgegangen.
Nach dem Vorschlag der Stiftungs-Gruppe sollen fein austarierte Konstruktionen an der Spitze des gemeinsamen Staates dafür sorgen, dass sich auf Zypern die ethnische Gewalt der 60-er und 70-er-Jahre nicht wiederholt: Die Ämter von Präsident und Ministerpräsident sollen regelmäßig zwischen Türken und Griechen rotieren; ein Zwei-Kammern-Parlament soll beim Ausgleich der Interessen von türkischer Minderheit und griechischer Mehrheit helfen. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen beide Bundesländer das Recht haben, sich vom gemeinsamen Staat loszusagen und unabhängig zu werden.
Heikle Frage der Rückkehr der Vertriebenen
Der Plan regelt auch die ganz besonders heikle Frage der Rückkehr vertriebener Griechen und Türken in ihre Heimatorte im jeweils anderen Teil der Insel. Presseberichten zufolge sollen die zwei Mitgliedsstaaten der "Vereinigten Staaten von Zypern" das Recht erhalten, die Bedingungen für eine Rückkehr sowie die Niederlassungsfreiheit auf ihrem Gebiet selbst zu regeln.
Nach der Gründung des Staates soll der Abzug ausländischer Truppen aus Zypern beginnen, an dessen Ende nur noch jeweils 2.000 griechische und türkische Soldaten in den beiden Sektoren wären. Besonders für die türkische Seite würde dies einen rasanten Truppenabbau bedeuten: Bisher sind rund 40.000 türkische Soldaten auf Zypern stationiert. Ob diese Vorschläge den Friedensprozess auf Zypern voranbringen können, wird sich schon bald zeigen, denn Clerides und Denktas haben sich selbst unter Druck gesetzt. Dreimal pro Woche wollen sie miteinander sprechen, bis ein Kompromiss gefunden ist.