Aus dem "kühnen Experiment" einer grünen Regierungsbeteiligung ist Normalität geworden.
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Wien. Es kam wie aus dem Nichts, damals im Jahr 2003. Auf Bundesebene regierte die schwarz-blaue Koalition, als Oberösterreich auf einmal ein bisschen grün wurde. "Es ist keine Zeit für Experimente", hatte Landeshauptmann Josef Pühringer vor der Wahl erklärt, und dann hatte Österreich doch, was Andreas Khol, damals Nationalratspräsident, ein "kühnes Experiment" nannte: die erste Regierungsbeteiligung der Grünen.
Elf Jahre später sitzen die Grünen in fünf von neun Landesregierungen, Vorarlberg ist nun das sechste Bundesland auf dieser Liste. Aus dem "kühnen Experiment" ist Normalität geworden. "Das war auch ein Prozess bei den Grünen selbst", sagt Politologe Peter Filzmaier, der zwei Zäsuren in der Geschichte der Grünen identifiziert. "Die erste Diskussion war in den 80ern, als sich die Frage stellte, ob eine soziale Bewegung eine Partei sein darf." Dem mühsamen Ja folgte das langjährige Selbstbild einer Oppositionspartei, bis in die 2000er-Jahre, bis sich auf einmal, nach der Nationalratswahl 2002, eine zweite Frage stellte: Sind die Grünen auch Regierungspartei?
Die Verhandlungen mit der Bundes-ÖVP scheiterten zwar, doch Filzmaier sieht in ihnen dennoch den "Eisbrecher", wie er sagt. Acht Monate später war Schwarz-Grün in Oberösterreich Realität und seither sehen grüne Funktionäre wie Wähler die Rolle der ehemaligen Umweltbewegung sehr wohl und sehr deutlich im Mitregieren. "Bei den Wahlmotiven findet es sich fast immer in den Top-Drei", sagt Filzmaier. "In dieser Deutlichkeit war das vor Oberösterreich nicht der Fall."
Es gibt natürlich oft eine Divergenz zwischen dem, was Wähler wollen, und was sie dann bekommen. Und zu einer Koalition mit grüner Beteiligung braucht es auch das Jawort von zumindest einer zweiten Partei. Das Image als Chaotentruppe, das vor allem aus den 80ern herrührte, als sich die Grünen noch nicht im Klaren waren, was sie genau sein wollen, war dafür hinderlich - siehe Khol.
Doch auch das änderte sich. In Graz funktionierte die Liaison mit der ÖVP nur vorübergehend, ehe Bürgermeister Nagl im Vorjahr Grün durch Rot und Blau ersetzte, doch Oberösterreich, das Experiment, hielt, auch wenn es formal keine Koalition, sondern wegen des Proporzsystems ein Arbeitsübereinkommen ist. "Die Grünen haben sich als paktfähig erwiesen, und zwar bis an den Rand der Selbstgefährdung", so Filzmaier.
Paktfähigkeit bewiesen
Die ÖVP hatte lange einen Börsegang der Energie AG forciert, die SPÖ drängte auf eine Volksbefragung. Die Grünen hielten sich aber an die Vereinbarung mit der ÖVP. "Sie waren in der paradoxen Situation, gegen diese Volksbefragung zu sein", sagt Filzmaier. Der Kollaps der Finanzwelt 2008 beendete den Börsegang vorzeitig, die Grünen entkamen der unangenehme Situation, hatten aber Loyalität bewiesen. "In der Öffentlichkeit hatte das wenig Symbolwirkung, aber auf politischer Ebene war das ein wichtiges Ereignis." Zwei Voraussetzungen für das grüne Mitregieren sind spätestens seit damals gegeben: einerseits der Anspruch der Partei und ihrer Wähler, andererseits aber auch die Bereitschaft der anderen Parteien. 2013 schaffe Grün den Einzug in die Regierung in Tirol, Kärnten und Salzburg.
Auffällig ist, dass die Grünen im Westen stärker abschneiden als im Osten. Selbst in Wien (12,6 Prozent) rangieren sie hinter Vorarlberg (17,1) und Salzburg (20,2). Dennoch gilt: je urbaner, desto grüner, wobei diese Entwicklung bis in ländliche Regionen, vor allem im Westen, spürbar ist, wie Meinungsforscher Günther Ogris vom Sora-Institut erklärt: "Die ländlichen Regionen im Westen haben sich durch den Tourismus viel stärker modernisiert, und es gibt auch viel mehr Mobilität. Die Grünen leben auch von der Abwanderung junger Menschen aus dem ländlichen Raum, damit vollzieht sich auch ein Wandel des Weltbildes."
Spagat bei Wählerschaft
Die Stärke der Grünen im Westen widerlegt auch das Bild der Grünen als primäres Auffangbecken für Wähler, die auf der linken Seite der SPÖ herausbrechen. "Das war ohnehin nur ein Mythos", sagt Filzmaier. Oberösterreich machte das auch offensichtlich. "Das war strategisch und hat die Grünen breiter aufgestellt", so Filzmaier. Andererseits gibt es sehr wohl noch linkes Potenzial, wie Ogris ergänzt. "In den Städten ist das auch größer. Es ist letztendlich eine Abwägungssache."
Auf regionaler Ebene lässt sich darauf gut eingehen, auf Bundesebene wird das im Wahlkampf eher ein Spagat, zumal die bürgerliche, leicht konservative Seite der Grünen nun auch von den Neos bearbeitet wird und möglicherweise auch wieder von der ÖVP.
Doch um auch einmal im Bund mitregieren zu können, werden wohl deutlich mehr als 12,4 Prozent nötig sein. "Die junge Generation ist nicht das Problem, aber bei den Pensionisten kommen die Grünen nicht hinein", sagt Filzmaier. Zwar werden die heute Jungen auch irgendwann in Pension sein, aber das dauert eben noch. Wie also den Weg abkürzen? Hier kommt wieder Oberösterreich ins Spiel, wo Pühringer seit 1995 amtiert, in Niederösterreich sitzt Erwin Pröll noch drei Jahre länger im Sattel. Wenn diese prägenden Politiker einmal abgetreten sind, könnte sich einiges verschieben, auch bundesweit. "Hier geht es um 2,5 Millionen Wähler", sagt Filzmaier.