Nach dem Ende des fünfwöchigen Wahlmarathons in Indien sehen alle Prognosen den umstrittenen Hindu-Nationalisten voran.
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Neu Delhi. Indien steht laut Aussagen der Wahlforscher vor einem Machtwechsel: Sämtliche Umfrageresultate, die von den indischen Medien am Montagabend veröffentlicht wurden, deuten auf einen Erdrutschsieg der Opposition unter Führung von Narendra Modi hin. Modi und seine rechtskonservative Wahlallianz könnten mit bis zu 289 von 543 Sitzen im neuen Parlament in Neu Delhi rechnen, meinen die Meinungsforscher. Von den Wählern böse abgestraft wurde den Voraussagen zufolge die regierende Kongresspartei, die mit ihren Bündnispartnern in der Volksvertretung nur noch auf etwa 100 Sitze kommt. Die Börse reagierte euphorisch auf die Nachricht. Die indische Rupie kletterte im Vergleich zum US-Dollar auf den höchsten Wert seit Juli 2013. Modi, der sich vom einfachen Teeverkäufer an die Spitze der Bharatiya Janata Party (BJP) hochgearbeitet hatte, gilt als Hoffnungsträger der indischen Unternehmen.
Rekord bei Wahlbeteiligung
Als am Montag um 18 Uhr die letzten der 930.000 Wahllokale schlossen, richteten sich in Indien alle Augen auf das Ergebnis der größten demokratischen Wahl der Welt. Um die acht Millionen Sicherheitskräfte waren zwischen dem Himalaya-Gebirge und der Südspitze des Subkontinentes im Einsatz, ebenso wie 15.000 Liter Tinte, mit denen die Finger der rund 551 Millionen Wähler in Indien gekennzeichnet wurden, um mehrfache Stimmabgabe zu verhindern.
Am kommenden Freitag soll das Endergebnis der Mammut-Abstimmung bekanntgegeben werden. Wenn sich die Vorhersagen bewahrheiten, dann wäre dies eine Denkzettel-Wahl für den Kongress - die Partei, die Indien die meiste Zeit in den sechs Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit des Landes 1947 regierte. Allerdings hatten die Meinungsforscher schon bei den vergangenen beiden Wahlen 2004 und 2009 fälschlicherweise einen Sieg der BJP vorausgesagt. In beiden Abstimmungen überraschte der Sieg der Kongress-Partei die Wahlforscher. Doch selbst konservative Prognosen geben diesmal der Opposition unter Modi einen deutlichen Vorsprung. So konnte der Hindu-Nationalist erstmals auch in Bundesstaaten wie Kerala und West-Bengalen Wähler gewinnen, wo die Partei zuvor politisch nicht existierte. Auch die Rekord-Wahlbeteiligung von 66,4 Prozent deutet darauf hin, dass der Urnengang eine Protestwahl gegen den Kongress mit seinem Spitzenkandidaten Rahul Gandhi war.
Die Kongress-Partei beeilte sich am Dienstag bereits, den magischen Namen Gandhi nicht mit der prophezeiten Wahlkatastrophe in Verbindung zu bringen. "Das Wahlergebnis wird sich auf die Arbeit der Regierung beziehen, und Rahul Gandhi ist nicht Teil der Regierung", erklärte Handelsminister Kamal Nath. Es sei billig, Premierminister Manmohan Singh das Abstimmungsdebakel anzulasten, um Parteichefin Sonia Gandhi und ihren Sohn Rahul zu schützen, konterte die sich siegreich fühlende BJP hingegen.
Singh, der 2004 Premierminister wurde, verabschiedete sich am Dienstag in seinem Büro im South Block von seinen Mitarbeitern. Der 81-Jährige hatte bereits vor der Wahl erklärt, er wolle nicht mehr kandidieren. Singhs Ansehen hatte in den letzten Jahren unter zahlreichen Korruptionsskandalen gelitten. Während das indische Wirtschaftswunder verebbte und die einst traumhaften Wachstumsraten in den Boden sanken, erschien die Kongress-Regierung schläfrig und desinteressiert. Auch Singh, der frühere Star-Ökonom und Wirtschaftsreformer, wirkte zuletzt müde und unentschlossen. Ein vor kurzem veröffentlichtes Buch eines früheren Singh-Beraters zeichnet den Chef der größten Demokratie der Welt sogar als bloße Marionette von Kongress-Chefin Sonia Gandhi, die politisch die Zügel in der Hand hält.
Abgrenzung von den Gandhis
Viele Wähler hatten in dem fünfwöchigen Wahlmarathon ihrer Unzufriedenheit mit der stotternden Wirtschaft, der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut Luft gemacht. Modi, der sich mit seinem Image als Saubermann und einfacher Mann des Volkes im Wahlkampf geschickt von der Gandhi-Familiendynastie absetzte, hat in seinem Heimatbundesstaat Gujarat in den letzten zehn Jahren als Regierungschef viel für die wirtschaftliche Entwicklung getan. Der 63-Jährige bemühte sich gleichzeitig, die religiös-konservative Seite seiner Partei herabzuspielen und statt dessen Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine ehrliche Regierung in den Vordergrund zu stellen. Modi ist politisch jedoch eine polarisierende Figur. Der Hindu-Nationalist konnte bisher nicht den sogenannten "Geist von Gujarat" abschütteln. Gegner beschuldigen ihn, die brutalen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Hindus 2002 in Gujarat absichtlich nicht gestoppt zu haben, bei denen mehr als 1000 Menschen - die Mehrzahl Muslime - ums Leben kamen. Die USA verweigerten Modi daher bisher ein Einreise-Visum.