Pakistan lässt gefangenen Piloten frei - Indien reagiert verhalten auf Islamabads angekündigte "Geste des Friedens".
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Mumbai/Islamabad. Adil Dar, der Selbstmordattentäter, der vor knapp zwei Wochen die jüngste Kaschmir-Krise ausgelöst hatte, stand auf keiner Terrorliste. Sechs Mal hatten die indischen Behörden ihn in den vergangenen zwei Jahren festgenommen und wieder freigelassen, weil er ihnen nicht besonders gefährlich vorkam. Am 14. Februar hat der 20-jährige Schulabbrecher aus dem idyllischen Gundibagh im indischen Teil Kaschmirs im Auftrag der islamischen Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed ein Auto mit 300 Kilo Sprengstoff in einen Bus mit indischen Sicherheitskräften gerammt und dabei 46 Soldaten mit sich in den Tod gerissen.
Laut Adils Eltern soll sich der Teenager radikalisiert haben, nachdem er auf seinem Schulweg von der indischen Polizei gezwungen wurde, seine Nase auf dem Boden zu reiben. Tausende Jugendliche wie Adil machen im Kaschmir-Tal ähnliche Erfahrungen von Misshandlungen und Demütigungen durch indische Sicherheitskräfte, die eine massive Präsenz in der Region haben. Aufstände, Demonstrationen und Streiks sind an der Tagesordnung. Pakistan muss nur wenig tun, um Willige zu finden, die sich dem bewaffneten Widerstand gegen Indien anschließen. Hier liegt das Problem des Konfliktes, der seit mehr als 70 Jahren ungelöst ist und der bereits der Anlass für drei Kriege zwischen Indien und Pakistan war.
Nun richten die beiden Atommächte erneut ihre Waffen aufeinander. Das Attentat hat den Kaschmir-Konflikt wieder voll entflammt. Indien beschuldigt Pakistan, die Terroristen zu trainieren wie auch zu bewaffnen, und reagierte vor drei Tagen mit einem Luftangriff auf pakistanischem Territorium - erstmals seit dem Krieg von 1971. Pakistan konterte mit einem Vergeltungsschlag, indem es einen indischen MiG-Kampfjet abschoss und dessen Piloten gefangen nahm.
Um eine weitere Militäreskalation zu verhindern, will Islamabad den Oberstleutnant der Luftwaffe aber heute, Freitag, wieder freilassen. Premierminister Imran Khan sprach von einer "Geste des Friedens".
Status quo seit 70 Jahren
Das mehrheitlich muslimische Kaschmir hat seit der Unabhängigkeit des Subkontinents von Großbritannien 1947 einen unklaren Status. Ursprünglich ein Fürstentum unter britischer Kolonialherrschaft, entschied sich der schillernde Maharaja Hari Singh dafür, Teil von Indien zu werden, obwohl die Bevölkerung seines Fürstentums mehrheitlich muslimisch war. In den Wirren der Teilung des Subkontinents in Indien, mit einer mehrheitlich hinduistischen Bevölkerung, und Pakistan, das mehrheitlich muslimisch ist, kämpften Truppen beider Seiten um das Himalaja-Gebiet, das zu einem Drittel von pakistanischen und von zwei Dritteln von indischen Soldaten eingenommen wurde.
Noch heute gilt praktisch dieser Status quo. Als Grenze zwischen Pakistan und Indien dient die Waffenstillstandslinie von 1949. Eine Unabhängigkeit Kaschmirs lehnen sowohl Neu-Delhi als auch Islamabad kategorisch ab.
Stattdessen legte der Streit die Grundlage für ein Wettrüsten. Neben einem erheblichen konventionellen Waffenarsenal verfügen Indien und Pakistan über zusammen knapp 300 Atomsprengköpfe, von denen jeder etwa die Stärke der über Hiroshima abgeworfenen Bombe hat. Allein die Detonation eines kleinen Teils des nuklearen Waffenarsenals könnte den Tod hunderttausender Menschen bedeuten und massive Umweltschäden anrichten, deren Folgen weit über den Subkontinent hinaus reichen dürften.
Zwar sind Spannungen zwischen den beiden Nachbarn häufig. Doch diesmal stehen auf beiden Seiten relativ unberechenbare Regierungschefs. In Pakistan ist es Premier Khan, ein politischer Newcomer und ehemaliger Profi-Cricketspieler, der erst seit ein paar Monaten im Amt ist. Indiens hindu-nationalistische Regierung unter Premier Narendra Modi wiederum muss sich im Mai Neuwahlen stellen und ist darauf bedacht, ein Bild der Stärke zu zeichnen. Die letzten Regionalwahlen waren für Modi, der großmundig Arbeitsplätze und Wohlstand versprochen hatte, nicht glücklich verlaufen. Nun rief er seine Landsleute in einer martialischen Wahlkampfrede zur Standhaftigkeit gegen den Erzrivalen auf. Einen Dialog mit Islamabad lehnt er kategorisch ab.
Pakistan hat sich bisher bemüht, den Konflikt möglichst kleinzuhalten. Dass die Regierung Khan nun ankündigte, den indischen Piloten bereits am heutigen Freitag zurück in seine Heimat zu schicken, ist ein erster Hoffnungsschimmer. Indien hat auf das Entspannungssignal zunächst betont zurückhaltend reagiert.