Falsche Wahlmanipulationsvorwürfe drohen Brasiliens Ex-Präsidenten auf den Kopf zu fallen.
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Donald Trumps Praktiken machen auch in Lateinamerika Schule. Seitdem der Ex-Präsident Joe Biden 2020 im Rennen um das Weiße Haus unterlegen ist, versucht Trump unentwegt, Vorwürfe "manipulierter und gestohlener Wahlen" unter das Volk zu bringen. Einer seiner Bewunderer und Gleichgesinnten, der Brasilianer Jair Bolsonaro, bis Ende vergangenen Jahres ebenfalls Staatsoberhaupt seines Landes, tat es ihm gleich. Vor der Wahl 2022 deutete er gegenüber dem Sender SBT News an, dass ein Ergebnis unter 60 Prozent für ihn bedeuten würde, "dass etwas Abnormales in der Wahlbehörde" vorgefallen sei.
Nun könnten dem rechtsextremen Ex-Militär seine erhobenen Vorwürfe zum Verhängnis werden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem bis Ende 2022 amtierenden Rechtspolitiker "politischen Machtmissbrauch" und "unangemessenes Verhalten der Kommunikationsmittel" vor. Die sieben Richter am Obersten Wahlgericht Brasiliens (TSE) verhandeln ab 22. Juni. Bei einer Verurteilung droht Bolsonaro eine achtjährige Ämtersperre. Auf dem Nachrichtendienst Twitter wurde deshalb der Hashtag #bolsonaroInelegivel ("Bolsonaro unwählbar") zum Trend, der Telegramm-Kanal Bolsonaros mit über 2,5 Millionen Abonnenten hingegen blieb im Vorfeld des Prozessbeginns zu jener Causa stumm.
Unhaltbare Vorwürfe
Vor dem Wahlgericht laufen derzeit ein Dutzend Verfahren gegen den 68-Jährigen wegen mutmaßlichen Missbrauchs seiner wirtschaftlichen und politischen Macht im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl 2022. In dem am Donnerstag begonnenen Prozess wird Bolsonaro zur Last gelegt, im Vorfeld der Wahl die Wahljustiz angegriffen und die Zuverlässigkeit der elektronischen Stimmabgabe in Brasilien, ohne Vorliegen von Beweisen, in Frage gestellt zu haben. Weniger als drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2022 machte Bolsonaro vor europäischen Diplomaten und im nationalen Fernsehen falsche Aussagen über den Wahlprozess und versuchte, Mitglieder des TSE zu diskreditieren. Bereits bei der Wahl 2018 habe es laut dem späteren Sieger vermeintliche Ungereimtheiten im digitalen Wahlprozess gegeben, die aufgeklärt hätten werden müssen, bevor die Gemeindewahlen zwei Jahre später hätten stattfinden dürfen. So würden Stimmen nicht von der obersten Wahlbehörde, sondern von Drittunternehmen ausgezählt werden.
Eine Überprüfung der Wahl, auch durch externe Wahlbeobachter, sei zudem nicht möglich, behauptete der langjährige Hinterbänkler im Kongress. "Alles, worüber ich hier spreche, ist dokumentiert, nichts aus meinem Kopf", sagte er gegenüber den Diplomaten.
Er kündigte die "Korrektur der Schlupflöcher" an und erwähnte eine mögliche Beteiligung der Armee an seinem Vorhaben. Doch seine Behauptungen, die Wahlen von 2018 seien möglicherweise untergraben worden und eine Stichwahl sei nur deshalb möglich gewesen, weil Brasiliens Linke Stimmen geklaut hätte, sind nach Ansicht der brasilianischen Wahlbehörde, der Fact-Checking-Agenturen und unabhängiger Experten falsch. In dem Land wird die elektronische Stimmabgabe seit 1996 verwendet, bisher hatte es keinerlei Hinweise auf Sicherheitsprobleme gegeben.
"Verhaftung, Tod oder Sieg"
Bolsonaro selbst bestreitet jedwedes Fehlverhalten. Die Aussichten für den Berufspolitiker, der weiterhin auf eine eingeschworene Anhängerschaft bauen kann, sind jedoch düster. Beobachter und Rechtsexperten rechnen mit einer Verurteilung seitens der siebenköpfigen Jury.
Eine einfache Mehrheit reicht und der Ex-Präsident könnte frühestens wieder 2030 ein öffentliches Amt bekleiden. "Es ist zu erwarten, dass er nicht mehr wählbar sein wird. Es gibt viele Beweise gegen ihn. Und das alles war vor den Ereignissen des Aufstands im Jänner", sagt Denilde Holzhacker, Politologin in São Paulo, zur "Financial Times".
Bolsonaro muss sich - neben seinen Prozessen vor dem TSE - auch in vier Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof Brasiliens verantworten. Unter anderem geht es darin um den Angriff hunderter seiner Anhänger auf das Regierungsviertel der Hauptstadt Brasilia am 8. Jänner dieses Jahres. Die Attacke verlief ähnlich dem Sturm auf das Kapitol in Washington, für den auch Bolsonaros Idol Trump juristisches Ungemach bevorstehen dürfte. Bolsonaro droht möglicherweise eine Haftstrafe.
Dieser hatte im September 2021 - ein Jahr vor der Wahlniederlage gegen den amtierenden Präsidenten Lula da Silva - von lediglich drei Optionen für sich gesprochen: "Verhaftung, Tod oder Sieg." Viele in Bolsonaros Rechtskoalition bereiten sich jedenfalls bereits auf eine Zukunft ohne den ehemaligen Fallschirmjäger vor. Einige Verbündete setzen ihre Hoffnungen auf andere konservative Politiker, wie den Gouverneur von Sao Paulo, Tarcisio Freitas, und jenen von Minas Gerais, Romeu Zema.(jm)