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Mögliche andere Welten?

Von Ulrich Brand

Gastkommentare
Ulrich Brand arbeitet als Professor für Internationale Politik an der Universität Wien unter anderem zur Kritik der Globalisierung und hat an acht Weltsozialforen teilgenommen.

Zum elften Mal findet derzeit das Weltsozialforum statt. Es ist eine weltweit einzigartige Ideenbörse im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse.


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"Eine andere Welt ist möglich!" Das Motto des Weltsozialforums wurde zum Leitspruch einer heterogenen globalisierungskritischen Bewegung. Seit 2002 nehmen jeweils 50.000 bis 120.000 Menschen am Weltsozialforum teil, das derzeit in Tunis läuft. Eine vor mehr als zehn Jahren entwickelte "Charta der Prinzipien" stellt bis heute den gemeinsamen Bezugspunkt dar.

Die Entscheidung für den Ort des diesjährigen Forums gilt als Anerkennung der jüngsten Kämpfe. Sie ist auch eine Art politischer Intervention. Denn die Rebellionen in Arabien zeitigten ja nicht nur positive Ergebnisse. Islamistische und salafistische Kräfte profitierten bisher stärker von den Umbrüchen.

Das Weltsozialforum erfüllt verschiedene Funktionen. Nach außen hin ist es ein wichtiger symbolischer Kontrapunkt zu den herrschenden Kräften der neoliberal-imperialen Globalisierung, die sich in Davos zum Weltwirtschaftsforum treffen. Die mediale Botschaft: Hier die farbenfrohe und enorm dynamische Suche nach einer anderen Welt - dort die unter Polizeischutz tagenden Profiteure und Verwalter des Elends. Auf dem Sozialforum finden Selbstverständigungen darüber statt, was die Dynamiken der Entwicklungen in verschiedenen Feldern der Gesellschaftspolitik ausmacht. Die globale Repolitisierung der ökologischen Krise 2005 führte zu intensiveren sozial-ökologischen Diskussionen. Die Finanzkrise ab 2008 wurde als "Krise der Zivilisationen" systematisch behandelt. Es geht aber nicht nur um Kritik, sondern auch um emanzipative Alternativen. Dabei dominieren keine politischen Masterpläne die Diskussion, sondern es werden vielfältige Erfahrungen von Widerstand und Alternativen dargestellt und reflektiert. Damit ist das Weltsozialforum eine einzigartige Ideenbörse für den Erfahrungsaustausch über konkrete Kämpfe gegen herrschende Verhältnisse. Es dient der Identitätsbildung, konkreten Absprachen und Strategieentwicklungen. Mit seinen organisatorischen Problemen und inhaltlichen Debatten ist das Forum Ausdruck der schwierigen Konstitution praktischer gesellschaftlicher Alternativen auf transnationaler Ebene: Es geht um das Verhältnis von Bewegungen zu Parteien und Staat, die Rolle professionalisierter NGOs oder die Frage, ob das Forum eher ein "offener Raum" bleiben oder auch ein global agierender politischer Akteur sein soll.

In der öffentlichen Wahrnehmung hat es aber seine prominente Stellung verloren. Das hat mehrere Gründe. Zum einen garantierten früher in Lateinamerika die Auftritte der Präsidenten Brasiliens, Boliviens und Venezuelas Schlagzeilen in der Weltpresse. Zum anderen hat das Forum seinen Neuigkeitscharakter verloren. Die Mühen der Ebene von Austausch und Vernetzung sind für die Weltöffentlichkeit wenig interessant. Doch genau hier geht einiges voran.

Dennoch ist die globalisierungskritische Bewegung bisher außerhalb Lateinamerikas kaum in der Lage, politische und gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern. Doch das kann man nicht dem Forum anlasten. Es ist ja kein großer Akteur der Weltpolitik; es trägt aber zur globalen Verständigung bei.