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Mondlandung in Bin-Laden-Village

Von Engelbert Washietl

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Der Terrorchef Osama bin Laden ist tot. Aber schon das offizielle Drehbuch über sein Ende bietet Stoff für Verschwörungstheorien, die ihn überdauern werden.


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Wir leben im Medienzeitalter. Der amerikanische Präsident Barack Obama lässt sich samt seinem politischen Krisenkabinett im "Situation Room" fotografieren, als es in Abbottabad im fernen Pakistan kurz nach Mitternacht Ortszeit ernst wird. Die Fotos mit den von äußerster Spannung gezeichneten Gesichtern wirken so authentisch, dass sie für den weltweiten medialen Gebrauch freigegeben werden, freilich erst nachdem die Funkbotschaft angekommen und auch verifiziert worden ist: "Geronimo, EKIA (Enemy Killed In Action)" Das ist die Todesmeldung über den Staatsfeind Nr. 1, Osama bin Laden. Ist Obama oder sein Vorgänger George Bush vielleicht schon früher einmal im "Situation Room" fotografiert worden, ohne dass Fotos freigegeben wurden, weil das "EKIA" nicht eintraf?

Die Drehbuchschreiber haben sich nach einigen Schwankungen auf 40 Minuten geeinigt. In diesen sei alles abgelaufen: Landen, Nahkämpfen, Töten, Abfliegen.

Den Leichnam von Osama bin Laden haben sie mitgenommen, einige weitere Personen auch, und - ganz wichtig: Computer mit Festplatte. Über gründliche Spurensicherung in dem riesigen Anwesen wird nichts verlautbart, obwohl sich die USA ja in einem globalen Krieg gegen den Terror verwickelt fühlen und auf die unscheinbarsten Indizien angewiesen sein müssten.

Was geschah in den 40 Minuten sonst? "Sie hatten es während der gesamten Operation mit Feuergefechten zu tun." Das ist eine wichtige Aussage, sie soll die von CNN vorschnell aufgestellte Behauptung widerlegen, die Navy Seals seien zur gezielten Tötung ausgeschickt worden. In einer der mehrfach redigierten Erklärungen des Sprechers Jay Carney kommt auch das Wort "Kreuzfeuer" vor. Bei so viel Feuer ist die Zahl der Opfer erstaunlich klein: ein Sohn Bin Ladens sowie zwei Kuriere und eine Frau seien getötet worden. Und natürlich Bin Laden, der sich nicht ergeben habe: "Es gab die Besorgnis, dass er sich der Gefangennahme widersetzen würde, und tatsächlich, er widersetzte sich. Im Zimmer mit Bin Laden rammte eine Frau, Bin Ladens Ehefrau, den US-Angreifer und wurde ins Bein geschossen, aber nicht getötet. Dann wurde Bin Laden beschossen und getötet." Oder wie es ein anderer Gewährsmann ausdrückte: "Sie waren darauf vorbereitet, ihn lebend gefangen zu nehmen, wenn er sich ergeben hätte." So definieren diensteifrige Beamte Notwehr mit Todesfolge. Waffe trug Bin Laden keine, er habe sich "auf andere Weise gewehrt".

Konnten Präsident Obama, Verteidigungsminister Robert Gates und Außenministerin Hillary Clinton auch dabei zuschauen? Die Kommunikationstechnik macht vieles möglich. Vielleicht schossen die Navy-Seals-Spezialisten mit Maschinengewehren, dahinter standen filmende Videoleute. Oder die Kämpfer trugen Fotoapparate wie Grubenlampen auf der Stirn.

Der angeblich "grausig" entstellte Kopf Bin Ladens wurde in Ferndiagnose auf der Stelle identifiziert: Ja, er ist es.

Fotografien vom Seebegräbnis, das auf dem Flugzeugträger "Carl Vinson" im Arabischen Meer veranstaltet worden ist, werden auch noch kommen. Man wird ein längliches Paket sehen, das im Ozean versenkt wird. Da drin ist Bin Laden, nur seine DNA-Probe ist im Labor. Was den Rest der Story betrifft, vertrauen wir auf die investigative Potenz amerikanischer Medien.

Oder auf WikiLeaks.

Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist bei "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".