Sammelklage wird erstmals geregelt. | Verjährungsfrist für Musterverfahren unterbrochen. | Heftige Kritik aus der Wirtschaft. | Wien. Es sind Monsterprozesse à la Kaprun. Die heimische Justiz ist bei solchen Gerichtsverfahren, bei denen an die hundert Kläger Ansprüche gegen ein und denselben Beklagten erheben, ziemlich überfordert. Deshalb soll es in Österreich bald das Gruppenverfahren geben. Prozesse, in denen mehrere Kläger gegen den- oder dieselben Beklagten vorgehen, sollen dadurch unkomplizierter, schneller und billiger werden. Kann man sich die Situation dann so vorstellen wie in Amerika: Könnte ein Staranwalt wie Ed Fagan in einem Verfahren die Ansprüche sämtlicher potenzieller Kläger durchfechten - selbst jener, die nicht einmal von dem Verfahren wissen?
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#Keine amerikanischen Verhältnisse
"Das amerikanische System wollen wir nicht, und das gibt es auch nicht", versucht Hartmut Haller vom Justizministerium zu beruhigen. Das Urteil im Gruppenverfahren gilt anders als in den USA nur für die, die diesem beigetreten sind. Außerdem soll es jederzeit möglich sein, "aus dem Verfahren wieder auszusteigen", erklärt Haller im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Man müsse dann lediglich seinen Anteil der bisher angefallenen Kosten zahlen. Wem also der Kurs der Gruppe nicht passt, der kann auch im Einzelverfahren klagen. "Die Sammelklage ist eine Koalition der Willigen und nicht das Joch für Unwillige", stellt Haller klar.
Justizministerin Maria Berger ist überzeugt, dass die Sammelklage einen "großen Fortschritt für die Rechtssicherheit der Betroffenen" bringt. Denn künftig können die Ansprüche von mehreren Klägern, die auf den gleichen Tat- und Rechtsfragen basieren, in einem einzigen Verfahren einheitlich geklärt werden.
Derzeit: Klagshäufung nur auf gut Glück
Das ist nach derzeitiger Rechtslage nicht möglich. Es ist zwar eine Klagshäufung erlaubt, wenn mehrere Kläger wegen derselben Sache gegen denselben Beklagten vorgehen. "Da muss man aber das Glück haben, dass für alle Klagen dasselbe Gericht zuständig ist", gibt Haller zu bedenken. Und selbst dann kann es sein, dass das Verfahren für die Kläger unterschiedlich ausgeht.
Neben der Klagshäufung gibt es derzeit auch noch die Möglichkeit der Verbandsklage. In dem Fall kann eine Organisation wie beispielsweise der Verein für Konsumenteninformation (VKI) auf die Einhaltung des Konsumentenschutzgesetzes klagen, ohne persönlich betroffen zu sein. Allerdings kann der Verband nur einen Unterlassungsanspruch geltend machen.
Geht es um wiederkehrende Rechtsfragen von allgemeinem Interesse, kann sich der Verband auch die Ansprüche der Geschädigten abtreten lassen und diese bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) durchfechten. Das Urteil, das in einem solchen Musterverfahren ergeht, hat zwar "Überzeugungskraft, aber keine Bindungswirkung", so Haller. Jene Geschädigten, die sich dem Musterverfahren nicht anschließen, können sich daher nicht darauf verlassen, dass der Beklagte bei Prozessverlust freiwillig auch an andere potenzielle Kläger zahlt. Oft lässt es der Beklagte nämlich darauf ankommen und hofft, dass sich der Einzelne nicht auf ein Gerichtsverfahren einlässt.
Im geplanten Gruppenverfahren wird es nicht nötig sein, die Ansprüche an einen Verband abzutreten. Das Verfahren kann durch einen einzelnen Kläger via Anwalt eingeleitet werden. Andere Kläger können beitreten, ohne anwaltlich vertreten zu sein. Damit der Anwalt im Gruppenverfahren nicht vor der Monsteraufgabe steht, hunderte Kläger und deren Interessen unter einen Hut zu bringen, bekommt er einen einzigen Ansprechpartner. Dieser muss die Interessen aller beigetretener Kläger vertreten.
Die heimischen Rechtsanwälte sind über diese Regelung nicht glücklich. "Wir haben ein Problem damit, dass die Vertretung vor Gericht nur auf einen Rechtsanwalt beschränkt ist", betont Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages gegenüber der "Wiener Zeitung".
Auch Rosemarie Schön von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) übt Kritik daran, dass der Beitritt zum Gruppenverfahren auch ohne Anwalt möglich sein soll.
Überhaupt hat sich die Justizministerin mit dem Gesetzesentwurf die Wirtschaft und Industrie zu Feinden gemacht. Der Entwurf sei "unausgegoren" und ein "Hammer", eiferte etwa Stefan Mara aus der Industriellenvereinigung (IV). Sowohl Mara als auch Schön halten eine Sammelklage für unnötig, da die bisherigen Methoden ausreichen würden. Kritisiert wird auch, dass der Gesetzesentwurf nachteilig für die Beklagtenseite ist. Sollte nämlich der Beklagte den Prozess gewinnen, muss er bei jedem einzelnen Grup penkläger die Kosten eintreiben. Sowohl Schön als auch Benn-Ibler schlagen deshalb eine Art Kaution vor. Alternativ fordert die WKO-Expertin eine Solidarhaftung jedes Klägers. Das würde bedeuten, dass der einzelne Gruppenkläger für die gesamten Kosten haftet. Erst im Nachhinein könnte er von den übrigen Klägern die Anteile zurückfordern.
Keine Zustimmung für Ruhen der Verjährung
Noch skeptischer als bei der Gruppenklage sind WKO und IV bei der Neuregelung des Musterverfahrens. Im Kreuzfeuer steht die ge plante Verjährungsunterbrechung. Während nämlich momentan bei den Musterverfahren ein freiwilliger Verjährungsverzicht durch den Beklagten erforderlich ist, soll künftig die Verjährung für alle gleichartigen Ansprüche ruhen, wenn und so lange eine Musterklage läuft. Dadurch soll vor allem verhindert werden, dass Beklagte den Musterprozess so lange hinauszögern, dass die Ansprüche all jener, die das Ergebnis des Verfahrens abwarten, verjähren.
Berger reagiert auf die Vorwürfe gelassen: Man werde das Ende der Begutachtungsfrist abwarten, Änderungen an dem Entwurf seien nicht ausgeschlos sen.