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"Montesquieus Gewaltenteilung ist längst passé"

Von Walter Hämmerle

Politik

Interview mit Werner Zögernitz, Parlamentsexperte und ÖVP-Klubdirektor. | "Wiener Zeitung": Sie arbeiteten fast 40 Jahre im Parlament, gelten als "der" Experte für die Geschäftsordnung - wie beurteilen Sie den Zustand des österreichischen Parlamentarismus?


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Werner Zögernitz: Ich bedauere die Entwicklung weg von der Sachlichkeit und hin zur Konfliktkultur. Sogar in den Ausschüssen wird kaum mehr sachlich gearbeitet und nur mehr für die Öffentlichkeit argumentiert. Und die Kontrollinstrumente des Parlaments werden durch zu häufige Anwendung tendenziell entwertet. Eine Dringliche Anfrage war vor 20 Jahren eine scharfe Waffe, vor der sich ein Minister fürchtete; heute lebt eine Dringliche quasi von der Ankündigung, wurde zu einem normalen Tagesordnungspunkt degradiert. Auch Sondersitzungen werden durch zu häufige Anwendungen entwertet.

Als Klubdirektor argumentieren Sie aus der Position einer Regierungspartei. Die Opposition würde dem ihre schwachen Minderheitenrechte entgegenhalten.

Österreich liegt, was den Bereich der Minderheitenrechte angeht, im europäischen Spitzenfeld, einzige Ausnahme ist die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Letzteres ist zwar in Deutschland als Minderheitenrecht verankert, aber bisher wurden dort alle diesbezüglichen Beschlüsse einstimmig verabschiedet, eben weil es hier ein stärkeres Konsens prinzip im Parlamentarismus gibt.

Apropos fürchten: Dass sich die Regierung vor dem Parlament fürchten müsste, ist doch ohnehin längst passé. Die Klubs der Regierungsparteien geben den Ton an und Gesetze kommen ohnehin aus den Ministerien.

Weltweit gibt es in Demokratien eine neue Gewaltenteilung: Dabei stehen einander nicht länger Regierung und Parlament, sondern Regierung samt Regierungsparteien und Opposition gegenüber. Montesquieu ist passé - das zeigt sich auch darin, dass beim Ministerrat auch die Klubchefs der Regierungsparteien mit dabei sind.

Kann man glücklich über diese Entwicklung sein - immerhin wird das Parlament als eigenständiger politischer Akteur ausgehebelt?

Na ja, das ist eine internationale Entwicklung, ob sie gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Für sich genommen ist das Parlament ja auch nur ein Gebäude, die Abgeordneten organisieren sich ja in den Klubs.

Aber auch die Mandatare der Regierung beschweren sich über mangelnden Einfluss auf die Gesetzgebung.

Die Entscheidungsfindung hat sich zweifellos verlagert, in der Regel werden aber doch die Sprecher der Regierungsparteien im Vorfeld eingebunden. Für die Opposition wurde das Instrument der Aktuellen Aussprache in den Ausschüssen eingeführt, um sich zu informieren.

Kritiker führen den Machtverlust des Parlaments auch auf die sinkene Qualität der Mandatare zurück - zurecht?

Leider haben das schlechte Image der Politik und die diversen Bezügeregelungen dazu geführt, dass sich immer weniger Spitzenleute zu einer Kandidatur bereit erklären.

Und die immer wieder monierte schlechte Qualität der Gesetzgebung?

Durch den Beitritt zur EU ist einfach die Zahl der zu beschließenden Gesetze enorm gestiegen, da können Pannen immer wieder einmal passieren. Aber weil immer darüber gejammert wird: In den 70er Jahren verfügte der wissenschaftliche Dienst des Parlaments über drei Akademiker, jetzt sind es 15, hier wurde also sehr wohl ausgebaut.

Was waren Ihre prägendsten Erlebnisse im Parlament?

Ich bin am 1. März 1970 ins Parlament gekommen -und das war der Tag, als die absolute Mehrheit der ÖVP abgewählt wurde, das war etwas überraschend für mich. Ein wunderbares Erlebnis war, als die Abstimmung über Österreichs Beitritt zur EU von meinem Büro aus telefonisch übertragen wurde.

Zur Person

Werner Zögernitz, geboren 1943, wechselte 1970 von der EDV-Branche in den ÖVP-Klub, den er seit Jahrzehnten als Klubdirektor führt. 1981 erschien sein erster Kommentar zur Geschäftsordnung des Nationalrats.