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"So sieht die Welt eben aus, wenn der Westen seine Verantwortung aufgibt, die Weltordnung aufrechtzuerhalten", schreibt das "Wall Street Journal" angesichts der Suche Europas nach Antworten auf die Flüchtlingskrise.
Was von den EU-Eliten als reale Prüfung für ihre moralische Mission wahrgenommen wird, ist für Angelsachsen vor allem ein Sicherheitsproblem: Ohne eine Lösung der Kriege und Konflikte in Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Libyen wird der Flüchtlingsstrom nach Europa anhalten. Daran ändert auch die Durchsetzung von verpflichtenden Quoten nichts.
Dessen ist sich auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bewusst: Immerhin zwei seines insgesamt sieben Punkte umfassenden Plans widmet er der "externen Dimension der Flüchtlingskrise". Darin findet sich der Kampf gegen Menschenschmuggler ebenso wieder wie Unterstützung für die Krisen-Anrainerregionen, die ja den Löwenanteil der Flüchtlinge betreuen, und auch ein Hilfsfonds für Afrika.
Für robustere Maßnahmen hat Juncker kein Mandat. Und nicht nur er: Kein frei gewählter Regierungschef hat von seinen Bürgern den Auftrag, wenigstens zu versuchen, mit politisch-militärisch-wirtschaftlichen Mitteln wieder Ordnung ins Chaos zu bringen. US-Präsident Barack Obama wurde sogar ausdrücklich gewählt, seine Soldaten zurückzuholen und sich daheim dem Wiederaufbau zu widmen. Und Europa denkt nicht im Traum daran, das von den USA hinterlassene Vakuum zu füllen.
Dafür gibt es etliche, sogar vernünftige Gründe. Nur: Europa muss Mittel und Wege finden, die Kriege vor seiner Haustür zu lösen. Andernfalls wird der Zustrom hunderttausender Flüchtlinge nicht nachlassen. Und dies wird früher oder später dazu führen, dass eine Mehrheit der Wähler Grenzen der Zuwanderung einfordert. Wie Europa dann aber seinem moralischen Auftrag, allen Hilfe suchenden Menschen Schutz zu bieten, treu bleiben kann, ist fraglich.
Die Bürger Europas werden sich entscheiden müssen: Entweder sie erteilen ihrer Staatenlenkern ein Mandat zur internationalen Einmischung - oder sie werden sich zwischen der Akzeptanz der Folgen offener Grenzen und dem Abschied von Europas selbst erhobenen moralischen Ansprüchen entscheiden müssen.
Das ist der harte Kern der europäischen Flüchtlingskrise.