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Moral im Zwielicht

Von Martyna Czarnowska

Politik
Rund ein Drittel der Einsätze im Mittelmeer leisten derzeit nichtstaatliche Vereine (im Bild eine Aktion der auf Malta ansässigen Organisation MOAS vor der libyschen Küste).
© reu/Darrin Zammit Lupi

Private Retter geraten wegen der Bergung von Flüchtlingen verstärkt unter Druck.


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Rom/Brüssel/Wien. Die "Iuventa" kann derzeit nicht auslaufen. Das Schiff der deutschen Nichtregierungsorganisation (NGO) Jugend Rettet, mit dem der Verein im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot birgt, ist beschlagnahmt und nach Sizilien überführt worden. Die italienischen Behörden wollen es durchsuchen. Berichte über Ermittlungen gegen Mitglieder der Crew weist Jugend Rettet allerdings zurück. Konkrete Anklagen gebe es derzeit nicht, hieß es dort auf Anfrage der "Wiener Zeitung".

Die Vorwürfe an den Verein und andere private Retter, die im Mittelmeer aktiv sind, sind nicht neu. Schon vor Monaten hat ein italienischer Staatsanwalt von einer Zusammenarbeit zwischen NGOs und Menschenschleppern in Libyen gesprochen: Unter anderem würden Lichtsignale von den Hilfsschiffen aus die Flüchtlingsboote leiten, die immer seeuntauglicher werden. Den Schmugglern würden die Aktivisten durch ihre Anwesenheit in die Hände spielen. Beweise legte die Staatsanwaltschaft nicht vor.

Dennoch sind die Organisationen in den vergangenen Wochen verstärkt unter Druck geraten. Italien, wo die meisten Migranten ankommen, die von Afrika aus die Überfahrt nach Europa versuchen, will die Verbände daher zu einem Verhaltenskodex verpflichten, um international gültige Regeln zu fixieren. Denn auch etliche Experten weisen darauf hin, dass Seenotrettung eine komplexe Angelegenheit sei, für die es entsprechende Ausbildung brauche. Ansonsten werden nicht nur die Migranten, sondern auch die Retter selbst in Gefahr gebracht.

So stoßen sich die Italiener etwa daran, dass die privaten Helfer Menschen aus ihren Booten ziehen, dann selbst einen Funkspruch absetzen und die Flüchtlinge an das nächste Rettungsschiff übergeben, anstatt die Migranten in einen Hafen zu bringen. Das bindet wiederum die Kapazitäten der italienischen Küstenwache oder der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die dann unter Umständen von einem anderen Einsatz abgehalten werden.

Umstrittener Verhaltenskodex

Solche Übergaben macht beispielsweise Jugend Rettet. "Wir sehen uns als Bindeglied: Wir wollen zumindest verhindern, dass Menschen ertrinken", sagt Sprecherin Isa Grahn. Wenn aber die Migranten dann noch in Häfen gebracht werden müssten, würde das die Zeit für eine weitere Bergung mindern.

Jugend Rettet gehört zu den NGOs, die in der Vorwoche den in Rom verhandelten Verhaltenskodex nicht unterzeichnet haben. Auch Ärzte ohne Grenzen weigerten sich. Die Organisation argumentiert unter anderem damit, dass sie es nicht vertreten könne, bewaffnete Polizisten an Bord zu lassen, wie es das Abkommen vorsehen würde. Das aber würde "einen Bruch der fundamentalen humanitären Prinzipien der Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit" darstellen. So ein Vorwurf aber kann für eine NGO wie Ärzte ohne Grenzen, die weltweit in Kriegs- und Krisengebieten aktiv ist, schwerwiegend sein.

Die Debatte hat allerdings nicht nur rechtliche und politische Aspekte. Es geht auch um Fragen der Moral. Während die Hilfsorganisationen auf den Schutz des Menschenlebens verweisen, machen sich andere Gedanken über die Kosten dafür. Verdienen die Menschenschlepper tatsächlich an der Hilfe der privaten Retter, weil sie nun weniger Geld für seetaugliche Boote ausgeben müssen? Die EU-Agentur Frontex, die die meisten Einsätze leistet, hat schon mehrmals von einem Zusammenhang gesprochen: Seitdem die NGOs ihre Tätigkeit aufgenommen haben, seien die Boote noch schlechter geworden und müssten noch mehr Flüchtlinge an Bord nehmen.

Die Reaktion der Organisationen ist eine Gegenfrage: Sollen wir die Menschen ertrinken lassen? Zumindest aus Sicht der NGOs kann es darauf nur eine Antwort geben.