Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Doping wird von einer soliden Mehrheit der Sportfans als eine moralische Verwerfung gesehen. Die Sichtweise liegt auch nahe, weil es dem fairen Wettkampf, einem der Ur-Werte des Sports, widerspricht, wenn Athleten versuchen, sich entgegen den Regeln Vorteile zu verschaffen. Ein gewisses Maß an Schlitzohrigkeit wird den Sportlern schon zugestanden. Ein geschundener Elfer im Fußball etwa oder auch ein kleiner Trick beim Material, um den Ski oder das Auto schneller zu machen, wird akzeptiert.
Wo die Grenze zur moralischen Verwerfung liegt, ist schwer zu definieren. Wer sich literweise Epo spritzt, gefährdet nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Gesundheit massiv. Gleichzeitig werden die Konkurrenten dazu genötigt, das ebenfalls zu tun, wenn sie mithalten wollen.
Im Fall von Jan Ullrich kann man zumindest die Vermutung anstellen, dass es der Deutsche nicht ganz so arg getrieben hat wie einige seiner Zeitgenossen, etwa der Ex-Kollege Bjarne Riis oder Marco Pantani, der sich ein paar Jahre nach seinem Toursieg das Hirn zu Brei gekokst hat.
Ullrich hat einige Jahre hervorragend verdient, seit seinem Toursieg war er einer der beliebtesten Sportler Deutschlands. Doch er war auch umstritten. Wenn er wieder einmal von Lance Armstrong abgehängt wurde, musste er sich zunehmend Kritik gefallen lassen. Er trainiere zu wenig, sei zu dick, esse im Winter zu viele Kekse und andere Köstlichkeiten. Und er sei generell nicht so ein Siegertyp wie Lance Armstrong. Der Leistungsdruck ist die Kehrseite des sportlichen Ruhms, Ullrich war dem nicht gewachsen. Dass diese Art des öffentlichen Drucks den Griff zu Dopingmitteln zumindest begünstigt, ist auch klar. Von Athleten Siege zu erwarten, ist so gesehen auch eine moralische Verwerfung.