Arusha - Der kühlgrüne Saal des Gerichts wird von sterilem Neonlicht erhellt. Hinter kugelsicherem Glas hocken die Angeklagten des Internationalen UNO-Tribunals zur Auf- | arbeitung des Völkermords in Ruanda (ICTR). Monotone Stimmen von Übersetzern am Prozessort in der tansanischen Stadt Arusha lassen eines der grausamsten Verbrechen der Menschheit wie entrückt erscheinen.
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Der Mord an mindestens 800 000 Tutsis und moderater Hutus soll gesühnt werden. Bilder zerstückelter Leichen, eingeschlagener Schädel, in Klärgruben Ertränkter, von Massengräbern sind tägliche Gerichtswirklichkeit. Und doch steht das Grauen im Jahr 1994 ganz und gar im Schatten des UNO-Tribunals gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic. "Afrika", klagt ICTR-Sprecher Kingsley Chiedu Moghalu, "interessiert die Welt immer weniger."
Immerhin war das ICTR das erste internationale Gericht, das einen früheren Regierungschef wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilte. Am 4. September 1998 - lange vor der Überstellung von Milosevic nach Den Haag - wurde Ruandas Ex-Ministerpräsident Jean Kambanda wegen seiner Rolle während des Völkermords zu lebenslanger Haft verurteilt. Er sitzt im westafrikanischen Mali im Gefängnis.
Insgesamt 56 Angeklagte hat das Gericht in Arusha seit 1995 hinter Gitter gebracht. Unter ihnen sind Minister, Militärs, Priester, Journalisten und die erste Frau, die sich vor einem internationalen Gericht wegen humanitärer Verbrechen verantworten musste. 30 Häftlinge warten seit bis zu vier Jahren auf ihren Prozess. 17 stehen derzeit vor Gericht. Angesichts von 120.000 Menschen, die in Ruanda selbst in Zusammenhang mit dem Genozid inhaftiert sind, und von etwa 4000 dort Verurteilter zweifeln Kritiker an der Effizienz des UNO-Tribunals.
Sein Jahresbudget von 90 Millionen US-Dollar (103 Millionen Euro) wäre in der ruandischen Hauptstadt Kigali viel sinnvoller angelegt, argumentiert Ruandas Regierung. Ihre Rechtshoheit teilt sie ohnehin nur zähneknirschend mit dem UNO-Gericht, das anders als in Ruanda die lebenslängliche Freiheits- und nicht die Todesstrafe als Höchstmaß vorsieht.
"Völliger Unsinn", meint Moghalu, der auch Rechtsberater des Tribunals ist. "Erstens hat das Tribunal das Mandat, die größten Fische des Massakers zur Rechenschaft zu ziehen und nicht Tausende Urteile zu fällen." Zweitens wären gerade diese "großen Fische" ohne ein internationales Gericht durch das Netz der ruandischen Justiz entwischt, weil sie ins Ausland geflohen wären. Zwar sprach Chefanklägerin Carla del Ponte von der möglichen Überstellung einiger Fälle von Arusha nach Kigali. Doch diese Idee ist es nach Meinung von Juristen am Tribunal nicht einmal wert, diskutiert zu werden.
"Es gibt rechtlich keine Grundlage für derartige Pläne", meint ein führender Mitarbeiter. Er und viele andere der rund 900 Mitarbeiter des Tribunals führen dessen wiederholt kritisierte Ineffizienz nicht allein auf die Kultur- und Sprachunterschiede des Gerichts zurück. Alle Richter etwa müssen verschiedener Nationalität sein. Alle Sitzungen ziehen sich durch Hin- und Rückübersetzungen von und in Kinyaruanda, Englisch und Französisch in die Länge.
"Doch ganz gleich woher ein Richter kommt: Wenn er gut ist, dann ändern auch Sprach- und Kulturunterschiede nichts daran", meint der Jurist. "Das Problem ist, dass es hier zu wenige Richter gibt, und dazu noch viele unerfahrene Leute die Prozesse führen." Einige Verantwortliche des Tribunals meinen, auch deshalb gerate Arusha immer mehr in den Schatten von Den Haag.