Frankreich debattiert über eine Frau, die ihren Mann erschoss.
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Jacqueline heißt mit Nachnamen Sauvage. Auf Deutsch heißt das wild und der Name ist Programm, denn wild ging es auch in ihrer Familie zu. Fast 50 Jahre lang litt die Französin ein Martyrium unter ihrem Mann, der in dem charmanten Dorf La Selle-sur-le-Bied eine Schreckensherrschaft über sie und ihre vier Kinder etabliert hatte. Regelmäßig verprügelte er seine Frau und verschaffte ihr so wiederholt Einlass in die örtliche Notaufnahme.
Jacqueline zu vergewaltigen war für den Mann, der mehr trank, als gut für ihn war, wahrscheinlich ein Kavaliersdelikt. Ebenso waren es seine außerehelichen Affären. Gewalt und sexuelle Übergriffe beschränkten sich nicht nur auf seine Frau. Der als arbeitsscheu beschriebene Mann verprügelte seine Kinder und vergewaltigte mindestens zwei seiner drei Töchter, wie diese bestätigten. Aufzumucken traute sich keiner, geschweige denn zur Polizei zu gehen. Denn der Despot schlug nicht nur gerne und hart zu, er drohte auch; beispielsweise damit, die ganze Familie zu töten.
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Das Video trägt den Titel (die Übersetzung): Gewalt in der Ehe. Schweigen heißt mitmachen.
Am 10. September 2012, im Alter von 63 Jahren und nachdem sie wieder einmal geschlagen worden war, beschloss Jacqueline Sauvage, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Sie griff zum Gewehr und jagte ihrem Peiniger drei Kugeln in den Körper - jede einzelne davon tödlich. Anschließend stellte sie sich der Polizei. Erst einen Tag später und bereits in Haft erfuhr sie, dass ihr Sohn sich am Vortag des Mordes das Leben genommen hatte, das ihm der Vater unerträglich gemacht hatte. Sauvage wurde zu zehn Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Sie berief und im Dezember 2015 wurde das Urteil bestätigt. Das Argument der Notwehr wurde nicht zugelassen, da die Schüsse nicht in unmittelbarer Reaktion auf die Prügel erfolgten, die obendrein noch als zu schwach angesehen wurden. Das Urteil empörte und stieß in Frankreich eine Diskussion darüber an, was denn eigentlich unter Notwehr zu verstehen sein sollte.
Fast 400.000 Franzosen haben bereits eine Petition unterzeichnet, in der Präsident François Hollande aufgefordert wird, Jacqueline Sauvage zu begnadigen. Politiker jeglicher Couleur schlossen sich dem Begehren an. Rund 40 rechte Abgeordnete, darunter die frühere Bildungsministerin Valérie Pécresse, haben einen entsprechenden Antrag an Hollande gerichtet. Die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, tritt ebenso dafür ein, wie der Co-Präsident der Europäischen Grünen Daniel Cohn-Bendit und der Chef der Linkspartei Jean-Luc Mélenchon.
Gleichzeitig fordern die Politiker die Schaffung eines Gesetzespassus zur "differenzierten Notwehr", der es erlauben soll, auch im Falle "ständiger Todesdrohung" zu handeln. Abseits des Juristischen stellt sich letztlich noch die Frage nach der moralischen Schuld. Denn zu Sauvages Martyrium befragt, bestätigten dutzende Dorfbewohner vor Gericht: "Jeder wusste es."