"Aufschieberitis" - verborgene Krankheit am Arbeitsplatz. | Stundenlang aufräumen statt Kunden anrufen. | Vorstellung von der Aufgabe fehlt. | Wien. Lieber lassen sich Mitarbeiter oft von einer Internetseite zur nächsten treiben statt die Kunden zurückzurufen. Noch schnell die E-Mails beantworten, die Vorbereitung für die Präsentation wird danach erledigt.
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Aus dem danach wird schnell ein morgen. Das Morgen endet im Niemandsland. Das Aufschieben von wichtigen und eigentlich dringlichen Tätigkeiten ist weit verbreitet und wird vielerorts als Marotte abgetan. Die wenigsten wissen jedoch, dass es sich um eine massive Störung der Selbststeuerungstätigkeit handeln kann.
Im Volksmund ist von "Aufschieberitis" die Rede. Wissenschafter sprechen von "Prokrastination", abgeleitet von dem lateinischen Wort procrastinare (deutsch: etwas vertagen oder verschieben). Markantes Markenzeichen: Chronische Aufschieber lassen Dinge, die sie selbst als wichtig, aber unangenehm ansehen, oft so lange liegen, bis die letzte Frist verstrichen ist. Plötzlich wütet der Putzteufel, der Schreibtisch wird aufgeräumt.
Angst vor Versagen
Mit mangelndem Zeitmanagement oder Faulheit hat dieses Verhalten längst nichts mehr zu tun. "Wir sprechen von einem notorischen Aufschieben, sobald man selber stark darunter leidet. Es stellt sich eine depressive Stimmung ein. Die Beziehung zu Ehepartnern, Chefs oder Kollegen kann gestört sein", erklärt der deutsche Psychologieprofessor Fred Rist. Auf Dauer können Betroffene auch nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden. Das Unbehagen über die ausständige Steuererklärung oder die hinausgezögerte Gehaltsverhandlung mit dem Vorgesetzten wird zum ständigen Begleiter.
Wie man diesen zermürbenden Begleiter wieder los wird, das lehrt Rist in der von ihm geleiteten Prokrastinationsambulanz der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der einzigen dieser Art im deutschsprachigen Raum.
Studien haben gezeigt: Hinter Prokrastination steckt häufig die Angst vor dem Versagen und vor der negativen Bewertung durch andere. "Häufig zögern Menschen Tätigkeiten auch hinaus, weil sie keine klare Vorstellung haben, wie sie an die Aufgabe herangehen sollen", schildert der Psychologe.
Handy und Internet aus
Der erste Schritt zur Genesung lautet daher: Die Arbeitszeit effektiv gestalten. Hilfreich dazu sind Fragen wie: Was möchte ich heute erledigen? Wie viel Zeit wird diese Aufgabe beanspruchen? Die Planung sollte realistisch sein, die Arbeit in mehrere kleine Blöcke unterteilt werden. Ebenso wichtig ist das Festlegen des genauen Beginn-Ortes und des genauen Zeitpunktes.
Psychologe Rist rät außerdem, äußere Störfaktoren zu beseitigen. Das heißt, das Internet abschalten, Handy aus, die TV- Fernbedienung außer Reichweite bringen. Wer Schwierigkeiten mit dem Anfangen hat, sollte sich ein Ritual zulegen, zum Beispiel immer mit einer Tasse Kaffee beginnen. Plagt einen die Angst vor dem leeren Blatt, dann lautet der Tipp: Beginne einfach in der Mitte, wenn es mit dem Anfang nicht klappt.