Im Stift St. Paul im Lavanttal sind 14 frühe Angehörige des Herrschergeschlechts beigesetzt.
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Im Jahr 1273 wurde Rudolf, der Graf von Habsburg, von allen Kurfürsten einstimmig zum römisch-deutschen König gewählt. Er und seine Gemahlin Gertrud Gräfin von Hohenberg (1225-1281) lebten und wirkten in einer Zeit der Kreuzzüge, der Entstehung der Ritterorden und der Klöster, kurzum, in einer Ära, in der sich Europa gerade zu sortieren begann. Dazu gehörten auch die politischen und wirtschaftlichen Ambitionen in eigener Sache des neuen Geschlechts der Habsburger. Sie engagierten sich in ihren Besitztümern der sogenannten "Vorlande", einer territorialen Konstruktion, die bis zum heutigen Tag in drei Staaten ihre Spuren hinterließ.
Es ist schade, dass diese ur-österreichische Landesgeschichte, die am Beginn des Habsburgerreiches stand, dem Allgemeinwissen weitgehend entschwunden ist. In den Vorlanden oder "Vorderösterreich" lagen die ersten Besitzungen der Habsburger westlich von Tirol und Bayern, darunter auch die Habichtsburg (= Habsburg); diese umfassten Gebiete in der heutigen Schweiz, in Vorarlberg, dem Elsass, Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben. Vorderösterreich war etwa 550 Jahre lang Teil des Heiligen Römischen Reiches und kurzzeitig auch des Kaisertums Österreich. Später war es ein zerstückeltes Anhängsel der Monarchie und man sprach scherzhaft von der "Schwanzfeder des Kaiseradlers".
Nach den Türkenkriegen wurden viele Bewohner Vorderösterreichs bewogen, sich an den neuen Grenzen im Königreich Ungarn niederzulassen - ihre Nachfahren werden als Donauschwaben bezeichnet.
Das Wappen blieb
Mit dem Wiener Kongress wurden nach mehr als einem halben Jahrtausend Bestand die österreichischen Vorlande aufgelöst. Mit Ausnahme von Vorarlberg verlor das Kaiserreich alle Gebiete an Deutschland und die Schweiz. In vielen Landesteilen trauerte man der Zeit der Habsburgerherrschaft nach. So manche deutsche Region und Stadt musste gezwungen werden, die österreichischen Farben gegen die neuen, meist bayerischen, in ihrem Wappen auszutauschen.
Geblieben sind viele österreichische Bindenschilde in Landes- und Stadtwappen, große Klosteranlagen und Kirchen, die katholische Prägung der Bevölkerung und durch Maria Theresia auch ein einheitliches Schulsystem. Noch heute werden in der einen und anderen Schweizer oder deutschen Amtsstube unter dem rot-weiß-roten Wappen oder gar unter dem Kaiseradler die Amtsgeschäfte getätigt.
Das Geschlecht der Habsburger, das durch 650 Jahre die Geschicke Österreichs lenkte, teilte sich in zwei große Dynastien: die Alt-Habsburger von Rudolf I. bis Maria Theresia und, ab ihrer Heirat mit Franz Stephan von Lothringen aufgrund der Pragmatischen Sanktion, in jene von Habsburg-Lothringen. Die meisten Familienmitglieder der zweiten Dynastie fanden in Wien ihre letzte Ruhestätte.
Es ist kaum bekannt, dass es neben der weltberühmten Kapuzinergruft auch noch andere größere Beisetzungsstätten von Familienmitgliedern gibt, die nicht weniger bedeutend sind als jene am Neuen Markt. Eine davon befindet sich in der Stiftskirche des Klosters St. Paul im Lavanttal: die Grablege der frühen Habsburger von der ersten bis zur vierten Generation.
Königin Gertrud, die als Stamm-Mutter aller Habsburger gilt, ist eine jener 14 Vorfahren des späteren "Hauses Österreich", die in St. Paul beigesetzt sind. Gertrud wurde höchstwahrscheinlich 1243 mit Rudolf verheiratet. Der Ehe entstammten zehn Kinder. Einer Erzählung nach habe sie das Purpurtuch zur Umhüllung des nackten Leichnams von König Ottokars II. Přemysl gestiftet. Seit 1277 hielt sie sich meist in Wien auf, wo sie vier Jahre später starb - wie vermutet wird, aus gebrochenem Herzen über die Trennung von ihrer Tochter, die mit Karl Martell, Titularkönig von Ungarn, verheiratet war.
Gertruds Gebeine und jene der anderen Alt-Habsburger fanden über viele Jahrhunderte hinweg keinesfalls ihre "letzte" Ruhe. Es war ein weiter Weg vom späten 13. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, von Königsfelden, beziehungsweise Basel, über St. Blasien im Schwarzwald in das oberösterreichische Spital am Pyhrn bis unter den Altar von St. Paul. Die jeweiligen Belegungen sind in gotischer Minuskelschrift auf kleinen Bleiplatten nachzulesen, die auf den Holzbehältnissen angebracht sind.
Mit den Mönchen der Abtei St. Blasien, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ins Lavanttal kamen, gelangten nicht nur wertvolle Kunstschätze nach Kärnten, sondern auch die aus dem Dom zu Basel und aus der Klosterkirche Königsfelden stammenden Särge der frühen Habsburger. Die Frage, ob die spärlichen Überreste in ihren kleinen Holzbehältern die nächsten Jahrzehnte überstehen werden, ist ob der enormen Feuchtigkeit in ihrem etwa vier Quadratmeter großen Raum mehr als fraglich.
Das Benediktinerstift St. Paul wurde 1091 gegründet und galt als Pflegestätte von Kunst und Wissenschaft. Schon 30 Jahre zuvor hatte der rheinfränkische Graf Siegfried von Sponheim mit dem Bau einer St. Pauls-Kirche auf der Burg Lavant begonnen. Sein Sohn Engelbert I. schenkte Burg, Kirche und Ort zu Füßen des Burghügels den Benediktinern, die er durch seinen Sohn Engelbert II., dem Begründer der Kärntner Herzogsdynastie der Sponheimer, ins Land holte.
Schule und Gruft
1787 wurde das Stift im Zuge vieler Klosteraufhebungen ebenfalls geschlossen. Auf Drängen der Kärntner Landesstände veranlasste Kaiser Franz I. die Reaktivierung, vor allem mit Hinblick auf ihre über die Landesgrenzen hinaus angesehene Schule. Die Neubesiedlung 1809 erfolgte durch das im Schwarzwald gelegene Benediktiner-Kloster St. Blasien, das ebenfalls von der Säkularisation betroffen und dem Verfall preisgegeben war.
Viele Schüler absolvierten das hervorragende Stiftsgymnasium, die später berühmte Persönlichkeiten wurden: etwas der weltberühmte Orthopäde Adolf Lorenz, Vater von Nobelpreisträger Konrad Lorenz, auch Theophrastus Bombast von Hohenheim (bekannter unter dem Namen Paracelsus) oder der Musiker Hugo Wolf. Sein Biograph Ernst Descey beschrieb die Eindrücke während dessen Schulzeit: "Zwischen den uralten Steinportalen spielen die Märchen der Geschichte, in den hallenden Bogengängen saß die Romanik und wob ihre Fäden. An den Wänden hängen groß die Bilder der Äbte und Stiftsregenten. Und unten in der hochbogigen Kirche liegen Herrscher Österreichs begraben: vierzehn Habsburger, unter ihnen Rudolfs des Ersten Gemahlin und der glorreiche Leopold, der bei Sempach fiel."
Spätestens an dieser Stelle darf man fragen, wie viele Alt-Habsburger nun wirklich in der kleinen Gruft liegen: Die Historikerinnen Adelheid Schmeller-Kitt (1965) und Elisabeth Lein (1972) sprechen von 15, im "Dehio" (1976), der Bibel aller Kunsthistoriker, stehen 13 und derzeit weiß man im Stift von 14 Personen in der kleinen Krypta. Diese Zahlendifferenz hat allerdings nichts mit einem geheimnisvollen Schwund oder einer Aufstockung der Belegung zu tun, sie ist schlichtweg unerklärlich und dürfte auf fehlerhaften Informationen beruhen.
Nachdem die Gebeine im Frühjahr 1809 in St. Paul angekommen waren, wurden sie in der bestehenden Gruft unter dem Chor der Abteikirche beigesetzt. Später plante man ein prächtiges Grabmal neben dem Hochaltar. Doch es kam anders. 1818 fanden die Benediktiner, dass ein freistehendes Hochgrab entsprechender wäre. Dafür erhielt Baumeister Pietro Rodolfi aus Udine den Auftrag. Er verkleidete die Tumba teilweise mit Marmor und setzte die Alabasterwappen, die man ebenfalls aus St. Blasien herbeigeschafft hatte, darüber.
Noch während des Ersten Weltkrieges wollten Familienangehörige und auch die Confratres wissen, in welchem Zustand sich der Inhalt der Holzbehälter befand. Die Öffnung des Hochgrabes erfolgte im Oktober 1917. Nach diesem Augenschein tauschte man die kleinen Fichtenholzsärge, die durch Feuchtigkeit bereits desolat geworden waren, gegen besseres Material aus Eiche.
Einige Monate später, ein knappes halbes Jahr vor dem Ende der Monarchie, gedachte man des 700. Geburtstages von König Rudolf I. und setzte alle Gebeine erneut bei. Das feierliche Requiem fand am 15. Juni 1918 in der Stiftskirche statt. Kaiser Karl I. schickte Vertreter. Aber noch war die "letzten Ruhe" nicht gefunden: 1936 wurden aufgrund der Restaurierung der Stiftskirche die Särge in die bereits vorhandene kleine Gruft unter dem Hochaltar verlegt, wo sie sich bis auf weiteres befinden. Für Besucher ist dieser Raum offiziell nicht zugänglich.
Aus den Vorlanden
Noch ein aktueller Epilog: An einem heißen Sommertag des heurigen Jahres lud Christoph Habsburg-Lothringen, in zweiter Generation in Kärnten ansässig, zu einem Requiem für Königin Gertrud in das Stift St. Paul. Ein kleiner Familienkreis und örtliche Prominenz gedachten des 740. Todestages der Habsburger Stamm-Mutter (und 22-fachen Urgroßmutter des Gastgebers).
Bei dem Festakt aufgefallen sind drei Herren in Hauensteiner Sonntagskleidung - eine der ältesten Trachten Deutschlands und aus jener Zeit, als Vorderösterreich noch nicht Geschichte war. Sie waren aus dem Schwarzwald angereist, und viele Mitglieder ihres Vereins fühlen sich auch heute diesem alten Österreich verbunden, zu der auch die Grafschaft Hauenstein gehörte.
Heinrich Dold, "Ehrenredmann" der "Hauensteiner Einung", meinte: "Nach der Auflösung von Vorderösterreich fiel unsere Grafschaft an das neu geschaffene Land Baden. Österreich war früher unsere Herrschaft, über die man nichts Schlechtes sagen kann. Ich sehe Österreich heute in vielem besser aufgestellt als Deutschland. Und nicht nur ich aus den ehemaligen Vorlanden wäre lieber Österreicher geblieben."
Belegung in St. Paul:
Königin Gertrud Anna
ihre Söhne Hartmann und Karl
Königin Agnes von Ungarn
Guta (Tochter von König Albrecht I. und Elisabeth von Görz-Tirol)
Katharina von Savoyen (Gemahlin von Herzog Leopold I.) und ihre Tochter Katharina
Königin Elisabeth (Gemahlin von König Albrecht I.) und ihre Tochter Elisabeth
Elisabeth von Virneburg (Gemahlin von Herzog Heinrich "dem Freundlichen")
Leopold I. "der Glorwürdige"
Heinrich "der Freundliche" (Sohn von König Albrecht I.)
Friedrich (Sohn von Herzog Friedrich I. und Elisabeth von Aragon)
Leopold III.
Literaturhinweise:
Elisabeth Lein: "Begräbnisstätten der Alt-Habsburger in Österreich" (Wien 1972)
Adelheid Schmeller-Kitt: "Klöster in Österreich" (Frankfurt/Main 1965)
Herbert Strutz: "Kärnten auf vielen Wegen" (Klagenfurt 1962)
Brigitte Hamann: "Die Habsburger - ein biographisches Lexikon" (Wien 2001)
Helge Reindl, geboren 1949 in Wien, war 35 Jahre Redakteur des ORF. Er ist Journalist, Buchautor und Besitzer des weltweit größten Adelsarchivs (Film, Ton, Text, Photo).