Der belgische Künstler nähert sich gewitzt dem Henne-Ei-Problem.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sein Gefieder changiert zwischen Braun, Grün und Blau, der Kopfschmuck akzentuiert den stämmigen Körper mit leuchtendem Rot. Das Mechelse Styrian ist die 17. Generation eines Huhns, dem der belgische Künstler Koen Vanmechelen die Goldene Nica in der Kategorie Hybrid Art beim diesjährigen Prix Ars Electronica verdankt. Das unbekümmert vom Festivaltreiben im Sand seines Käfigs scharrende Tier ist in der Ausstellung CyberArts (noch bis 15. September) zu sehen, die heuer nicht im Offenen Kulturhaus, sondern in den Räumen des benachbarten Ursulinenhofs installiert ist.
Auf einer Wand hinter dem Käfig lässt sich die Entwicklung des hybriden Lebewesens nachvollziehen. Bild für Bild sind dort alle Vorfahren des im April 2013 aus dem Ei geschlüpften Mechelse Styrian zu sehen. Das Kreuzungsprojekt hat 1998 mit einer Mischung aus dem belgischen Mechelse Koekoek und dem französischen Poulet de Bresse begonnen. In seiner aktuellen Gestalt greift das Huhn unter anderem auf die Gene von Züchtungen aus England, Mexiko, Brasilien, Russland und dem Senegal zurück.
Das Huhn als Metapher
"Ich sehe das Huhn als Metapher für die Menschheit und das Ei als Metapher für die Welt", behauptet Vanmechelen über sein "Cosmopolitan Chicken Project", mit dem er nicht nur die Absurdität der Henne-Ei-Problematik gewitzt verhandelt, sondern vor allem dringende gesellschaftliche Fragen nach einer gesunden Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur anspricht: "Das Ei ist eine geschützte Umgebung und eine Quelle des Lebens. Es ist aber auch ein Käfig und eine Einschränkung, derer wir uns entledigen müssen."
Ziel von Vanmechelens Experiment ist nicht die genetische Rückkehr zum Bankivahuhn, dem Ursprung aller heute bekannten Hühnerrassen. Mit seiner Mixtur möchte er vielmehr eine neue Ausgangssituation schaffen und setzt mit seinem Vorhaben einen langlebigeren, weniger aggressiven und nicht zuletzt natürlicheren Kontrapunkt zu Hühnern, die in der industriellen Massenproduktion derart überzüchtet werden, dass sie sich nicht einmal fortpflanzen können. Mit Rückgriff auf die DNA, jenen Informationsträger des Lebens, der sich aus seiner eigenen Geschichte heraus permanent neu weiterentwickelt, gelingt es dem "Cosmopolitan Chicken Project" als einem der wenigen Kunstwerke in der recht disparaten Ausstellung auch mit den Festivalthemen Gedächtnis und Erinnerung zu korrespondieren. Zusätzlich zur Kategorie Hybrid Art sind im Ursulinenhof prämierte Projekte aus den Bereichen Interactive Art, Digital Musics und Sound Art sowie Digital Communities zu sehen.
Im Kernbereich des Festivals, der interaktiven Kunst, hat die Ausstellung jedoch wenig zu bieten. Der Pendulum Choir der Schweizer Brüder Décosterd, ein A-Capella-Chor, der auf hydraulischen Zylindern gegen die Schwerkraft ansingt, ist nur als Videodokumentation zu sehen.
Reaktion: Trockenheit
Ähnlich ergeht es dem Rain Room des britischen Kollektivs rAndom International: ein künstlich beregneter Raum, der auf die Bewegung von Besuchern mit partieller Trockenheit reagiert. Die Hands-on-Strategie, die sonst bei der Ars Electronica so großgeschrieben wird, hätte den künstlerischen Bedürfnissen des Chors und der Nasszelle Rechnung getragen und der Oberflächlichkeit einer ausschließlich über Bildschirme vermittelten Erlebniskunst entgegengewirkt.
Gänzlich unvermittelt begreift man hingegen die Installation Ahora: Kommen Besucher in die Nähe der vom Gebälk des Dachbodens im Ursulinenhof hängenden Lautsprecher, entstehen sphärische Klänge, die sich dem räumlichen Verhalten der Personen entsprechend verändern. Ahora, Spanisch für das Wort "jetzt", basiert auf der Technologie des Tracking, mit der das Verfolgen von Bewegungen mittels Computer möglich ist. Die Kompositionsumgebung der Argentinier Hernán Kerlleñevich und Mene Sacasta Alsina setzt Themen wie die Aufzeichnung von Daten und Überwachung nicht nur mit den Mitteln der Abstraktion in Szene, sondern macht sie vor allem im Hier und Jetzt der Kunstbetrachtung, also körperlich, erfahrbar. So, wie es sich für die Ars gehört.