Interview mit Sicherheitsexperten Gerald Karner. | "Polit-Rhetorik nicht mit Realpolitik verwechseln." | "Wiener Zeitung": Die Nato verpasst sich eine neue Strategie, was aber ist ihr Kern? | Gerald Karner: Der ist und bleibt die militärische Beistandsgarantie für alle Mitglieder. Vor allem die osteuropäischen und baltischen Staaten werden darauf pochen, dass das auch in Zukunft so bleibt, weil sie sich vor dem großen Nachbarn Russland fürchten. Zudem läuft auch die militärische Integration der Nato-Mitgliedstaaten über die Beistandsverpflichtung.
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Hätte die Nato 2008 tatsächlich wegen Georgien Krieg gegen Russland geführt? Wäre es nach einigen Nato-Staaten gegangen, wäre ja Georgien, aber auch die Ukraine längst Mitglied im Bündnis.
Wahrscheinlich wäre es zu keinen kriegerischen Handlungen gekommen, wenn das Land bereits Mitglied gewesen wäre.
Wie wird sich das Verhältnis der Nato zu Russland künftig entwickeln? Die neue Strategie setzt ja vermehrt auf Kooperation.
Es bleibt eine Gratwanderung - und davon geht auch die Nato selbst aus. Die Divergenzen bleiben, einfach weil Russland in seiner Nachbarschaft eine dominante Rolle spielen will. Das ist aus Moskauer Sicht durchaus verständlich, allerdings verträgt sich das nicht mit dem Konzept der kollektiven Sicherheit der Nato. Zudem sollte man nie politische Rhetorik mit realer Politik verwechseln: Jede Kooperation wird mittels eines Tauschgeschäftes abgekauft werden müssen. Das wird sich auch beim nun neu geplanten atomaren Raketenabwehrschirm zeigen. Dieser war stets gegen den Iran gerichtet; gegen das russische Nuklear-Arsenal wäre er schon rein quantitativ wirkungslos gewesen.
Für manche Experten ist die Nato längst zu einem politischen Bündnis geworden...
... ja, aber man kann das Politische nicht vom Militärischen trennen, daher sehe ich keinen Antagonismus.
. . . was ist dann die Zukunftsvision der Nato?
Eine geäußerte Vision der Nato sehe ich im Moment tatsächlich nicht, das ist zweifellos eine Schwäche. Friedenssicherung und -schaffung außerhalb des Bündnisgebietes ist längst zu einer zentralen Aufgabe geworden, wie man an den Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan sieht.
Mithilfe ihrer neuen Strategie versucht die Nato, sich auch mit den künftigen Bedrohungen, wie sie etwa ein nuklear bewaffneter Iran darstellt, vorzubereiten. Ist das Bündnis dafür aber auch das geeignete Instrument?
Zumindest ist sie besser dafür geeignet, als es etwa eine Koalition der Willigen wäre, die den Irak-Krieg geführt hat. Die Nato ist berechenbarer, die Gefahr von militärischen Alleingängen dadurch geringer.
Kritikern erscheint sie aber immer noch als verlängerter Arm der USA.
Die USA sind und bleiben das mit Abstand stärkste Land im Bündnis, diesbezüglich würde ich es aber genau umgekehrt formulieren: Die Nato ist zu einem Mittel der Einbindung der USA geworden, weil bei gemeinsamen Aktionen auch die Zustimmung aller Mitglieder notwendig ist. Zudem sagen die USA unter Präsident Obama ganz klar, dass sie keine Alleingänge wollen, sondern eine Abstimmung mit den Partnern. Dafür ist die Nato das geeignete Instrument.
Die Abgesänge auf die Nato, wie sie in der Vergangenheit immer wieder zu hören waren, sind also Geschichte?
Nicht unbedingt, das wird davon abhängen, wie sich die internationale Politik und vor allem die EU entwickeln. Europa hat im Moment kein Interesse an einer Schwächung, weil es andere, vor allem wirtschaftliche Sorgen hat. Da macht es auch budgetär Sinn, vorerst weiter auf die Nato zu setzen. Und was die USA angeht, so haben auch diese Interesse an einer funktionierenden integrierten Sicherheitspolitik. Eine eigene aufzuziehen, ist für beide schlicht zu teuer.
Und das Verhältnis Österreichs zur Nato?
Militärisch scheint es recht gut zu funktionieren, wie die österreichischen Truppen unter Nato-Kommando im Kosovo zeigen. Ansonsten werden wir allerdings auf dieser Ebene sicherheitspolitisch nicht wirklich ernst genommen.
Zur Person
Gerald Karner, Jahrgang 1955, Brigadier, war Mitglied der Bundesheer-Reformkommission und ist seit 2006 Berater für Strategie- und Organisationsentwicklung.
Siehe auch:Mit eigener Raketenabwehr für die Zukunft gerüstet