Gas-Streit mit der Ukraine eskaliert - EU erwägt härtere Sanktionen gegen Russland.
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Kiew/Moskau/Brüssel. Ein kalter Winter ohne Gas: Auch mitten im Frühsommer taugt schon diese Möglichkeit dazu, den Regierungen in Ost- und Mitteleuropa die Sorgenfalten ins Gesicht zu zeichnen. Und die Entscheidung des russischen Gasmonopolisten Gazprom am Montag, seine Lieferungen an die Ukraine zu stoppen, war beileibe nicht dazu angetan, die ohnehin höchst angespannte Situation zu kalmieren.
Gazprom will, nachdem die Verhandlungen mit der neuen, prowestlichen Regierung in Kiew zu keinem Ergebnis geführt haben, ab sofort nur noch gegen Vorauszahlung liefern. Und da die Ukraine zugleich als wichtigstes Transitland für Gaslieferungen gen Westen fungiert, bedeutet dieser zweifellos auf Geheiß des Kremls angesetzte Schritt eine Gefährdung der Gasversorgung für etliche EU-Staaten.
Spätestens im Winter könnte das Gas knapp werden
Noch ist es aber nicht so weit. Schließlich ist erst Juni und die Gasspeicher - nicht zuletzt in der Ukraine - gut gefüllt. Tatsächlich floss das kostbare Gut am Montag unvermindert durch dien Leitungen gen Westen; für Österreich erklärte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, dass die Reserven auch bei einem Importstopp bis Februar 2015 reichen würden.
Dessen ungeachtet dürfte die Lage spätestens im Herbst prekär werden, wenn bis zum Beginn der Heizsaison noch immer kein Kompromiss gefunden ist. Dann wären die Reserven wohl aufgebraucht. Und genau auf diese Speicherkapazitäten ist sowohl die Ukraine als auch die EU im Winter angewiesen, da dann die russischen Lieferungen für die Deckung des Eigen- und Durchlaufbedarfs nicht ausreichen.
Das sieht auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger so, der am Montag in Wien mit Blick auf den kommenden Winter vor einem "Problem" und einer Gefahr sprach. Nicht nur, dass Russland seine Gaslieferungen eingestellt habe, bestehe aus heutiger Sicht auch das Risiko, dass pro-russische Separatisten oder einfache Diebe die Leitungen anbohrten. Das politische Umfeld sei derzeit "deutlich schwieriger" als noch vor einer Woche, so Oettinger. Am Wochenende erst hatten separatistische Kämpfer ein Flugzeug der ukrainischen Armee abgeschossen, alle 49 an Bord befindlichen Soldaten kamen dabei ums Leben. Damit erreichte die militärische Auseinandersetzung im Osten des zwischen Russland und der EU eingezwängten 45-Millionen-Einwohner Landes eine neue, blutige Qualität. Wie es in der Natur der Sache liegt, hat Kiew naturgemäß Vergeltung für den Anschlag angekündigt.
Die Zeichen stehen also weiter auf Eskalation und keineswegs nur rhetorisch.
Separatisten zündelnweiter im Osten
Separatisten brachten etwa in Donezk das Gebäude der dortigen Filiale der ukrainischen Nationalbank unter ihre Kontrolle. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer neuen Spaltung Europas angesichts der sich erneut zuspitzenden Lage. Dementsprechend kannten auch Europas Aktienmärkte zu Wochenbeginn nur eine Richtung: nach unten; vor allem Flugzeugtitel und Reisveranstalter mussten teils herbe Verluste einstecken (die Verluste etlicher Bankenwerte hatten allerdings andere Ursachen). Im Gegenzug zogen die Preise für Erdöl und Gas an den internationalen Handelsplattformen deutlich an; hier wirken die Gaskrise und die brisante Lage im Irak zusammen (siehe Seite 6 und 7).
Nichtsdestotrotz gab es auch am Montag Bemühungen, die Lage zu beruhigen. EU-Kommissar Oettinger hielt einen Kompromiss in der Frage der ukrainischen Zahlungsmodalitäten für russisches Gas weiter für möglich. Laut Gazprom belaufen sich die Gas-Schulden Kiews auf mittlerweile 3,29 Milliarden Euro. In Moskau wollten am Montag Putin, Gazprom-Chef Miller sowie Energieminister Nowak über das weitere Vorgehen bei den Verhandlungen mit Kiew beraten.
Doch es fehlte zugleich nicht an scharfen Worten gegen Moskau. So kündigte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko an, bis Ende dieser Woche die Kontrolle über die Grenzregionen zu Russland wiederherstellen zu wollen - erst dann könne ein angekündigter Waffenstillstand in Kraft treten. Details eines immer im Munde geführten Friedensplans nannte Poroschenko nicht.
Und auch die Frage verschärfter Sanktionen gegen Moskau kam wieder auf die Tagesordnung. Die bisher verhängten, eher weichen Maßnahmen haben sich als wirkungslos erwiesen, nun wird über harte Wirtschaftssanktionen laut nachgedacht. In etlichen europäischen Hauptstädten, darunter in Wien und Berlin, löst diese Aussicht wegen der intensiven Handelsbeziehungen zu Russland aber keine Freudensprünge aus. Eine Entscheidung darüber könnte am nächsten EU-Gipfel am 27. Juni fallen.