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Moskau mischt im Migrationsstreit mit

Von Martyna Czarnowska

Politik

Lage an weißrussisch-polnischer Grenze bleibt angespannt. Experten: Dialog mit Minsk "sinnlos".


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An Kampfrhetorik fehlt es nicht. Polens Premier Mateusz Morawiecki wirft dem weißrussischen Regime "Staatsterrorismus" vor. Von "hybrider Kriegsführung" ist die Rede im Migrationsstreit zwischen der EU und Belarus, das tausende Personen an die Grenze zu Polen schickt. Die Lage dort verschärft sich seit Tagen, hunderte Menschen campieren in den Wäldern, eingezwängt zwischen polnischen Grenzschützern und Soldaten sowie weißrussischen Uniformierten. Die Polen lassen sie nicht vor, die Weißrussen nicht zurück. Die EU sucht fieberhaft nach Auswegen.

Zumindest in zwei Hauptstädten außerhalb der EU werden die Geschehnisse mit großem Interesse verfolgt - und großer Neugier, ob und wie sehr sich die Europäische Union erpressen lässt. Die Führung in Moskau, wo das Vorgehen des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko wohl gutgeheißen wurde, macht die EU selbst für die Migrationskrise verantwortlich. Die Gemeinschaft habe mit ihren eigenen "humanitären Werten" versagt, befand Kremlsprecher Dmitri Peskow. Mit Abriegelung und neuen Sanktionen wolle die EU Weißrussland "strangulieren". Als Zeichen der Unterstützung für den Nachbarn schickte Russland prompt zwei Kampfflieger über den belarussischen Luftraum.

Auch in Ankara werden die Ereignisse an der mehr als 2.000 Kilometer entfernten Grenze wohl beobachtet. Denn Migration für politische Zwecke hat schon der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einzusetzen versucht. Im Vorjahr ließ er das Flüchtlingsabkommen mit der EU teils aussetzen, und die Behörden hinderten Migranten nicht daran, die Grenze zu Griechenland zu passieren. Hektische Verhandlungen folgten.

EU-Sanktionen gegen Minsk

Der Fall Weißrussland gestaltet sich freilich insofern anders, da die Menschen dorthin eingeflogen und dann an die EU-Grenze gebracht werden. Umso wichtiger wäre es daher, dass die Union keine Konzessionen gegenüber Minsk eingeht, finden einige Experten - etwa jene von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR), die sich mit europäischer Außen- und Sicherheitspolitik befasst. So raten sie von einem Dialog mit Lukaschenko ab. "Wie bei jeder Form von Erpressung, wäre es sinnlos und gefährlich, Zugeständnisse zu machen - weil der Aggressor nur mehr verlangen würde", schreiben die Experten in einer Analyse: "Das wäre ein Signal an andere autoritäre Machthaber, dass solch eine Taktik wirkt."

Stattdessen sollte die EU den Druck auf das weißrussische Regime verstärken. Eine Möglichkeit dazu wären weitere Sanktionen. Außerdem könnte die EU nach Meinung der ECFR-Autoren die Regierungen in den Herkunftsländern der Migranten sowie Fluggesellschaften dazu drängen, sich nicht mehr am Menschenschmuggel zu beteiligen.

Die Fluglinien sind denn auch schon im Visier der EU, die ihre Sanktionen verschärfen will. Es geht darum, den Menschentransport aus anderen Ländern - vor allem im Nahen Osten - nach Weißrussland zu erschweren. Beschließen könnten dies die EU-Außenminister am Montag.

Parallel dazu hat sich eine Debatte um die Form der Unterstützung der betroffenen EU-Mitglieder entsponnen. Die EU-Kommission bietet Polen Hilfe von Institutionen wie der Grenzschutzagentur Frontex oder der Asylbehörde EASO an - wovon Warschau derzeit nichts wissen will. Stattdessen hätte es lieber Geld für den Bau einer Mauer an der Grenze zu Belarus, die bis zum Frühling fertiggestellt sein soll. Eine Mitfinanzierung lehnt wiederum die Kommission ab.

Humanitäre Hilfe nötig

EU-Ratspräsident Charles Michel hingegen ist da nicht so rigoros. Rechtlich wäre es möglich "Infrastruktur zum Schutz der EU-Grenze" aus gemeinsamen Mitteln zu finanzieren, erklärte er bei einem Besuch in Warschau.

Weit weniger als eine hunderte Kilometer lange Mauer würde humanitäre Hilfe für die Männer, Frauen und Kinder, die in den Wäldern ausharren, kosten. In die Sperrzone werden derzeit keine Hilfsorganisationen gelassen. Dies zu ändern, fordert auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. Sie zeigte sich "entsetzt", dass Menschen in verzweifelter Lage bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ihrem Schicksal überlassen werden.