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Kiew will den russischen Hilfskonvoi aus Angst vor einer verdeckten Militäraktion nicht durchlassen, Russland besteht aber darauf.
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Kiew/Moskau. Bis zu 287 weiß lackierte russische Lastwagen ohne Nummernschilder rollten am Mittwoch vom Norden her auf die ukrainische Grenze zu. Noch am Mittwochabend oder spätestens Donnerstagfrüh sollte der drei Kilometer lange Hilfskonvoi Moskau zufolge schließlich den Grenzübergang Schebekino-Pletnewka nördlich von Charkiw erreichen.
Mit jedem Kilometer, den dieser näher heranrückte, wuchs die Nervosität in Kiew. Die ukrainische Regierung befürchtet hinter der angeblichen humanitären Hilfe für die Ostukraine eine versteckte Militäroperation zugunsten der in Bedrängnis geratenen Separatisten und will den Konvoi daher unter keinen Umständen durchlassen. Auch um heimliche Waffenlieferungen an die prorussischen Rebellen zu verhindern, forderte Präsident Petro Poroschenko am Mittwochvormittag, die 2000 Tonnen Hilfsgüter - darunter laut dem russischen Katastrophenschutzministerium Babynahrung, Decken, Medizin und Stromgeneratoren - am Grenzübergang dem Internationalen Roten Kreuz zu übergeben, das diese dann in eigenen Fahrzeugen unter der notleidenden Bevölkerung in den Kriegsgebieten verteilt. Später hieß es, der Konvoi könne vielleicht doch einreisen, wenn er die Grenze an einem Übergang nahe der Sadt Lugansk überquere und von ukrainischen Grenzwächtern kontrolliert werde. Ob Moskau eine dieser Vorgaben akzeptieren würde, war zunächst nicht klar.
Zu den Zweifeln Kiews und der westlichen Verbündeten am Motiv der angeblichen Hilfsaktion hat Russland selbst gehörig beigetragen, indem die Regierung Informationen zurückhielt und bewusst Verwirrung stiftete. So wurde dem Roten Kreuz dem Sprecher André Loersch zufolge eine detaillierte Auflistung der geladenen Hilfsgüter vorenthalten, die Kiewer Regierungüber die geplante Route des Konvois bis zuletztim Dunkeln gelassen. Nicht einmal die genaue Anzahl der Hilfs-Lkw, von denen einige mit Rot-Kreuz-Fahnen unterwegs waren, wurde bekanntgegeben. Offizielle Stellen sprachen einmal von 262, dann wieder von 287 Lkw. Diese Verwirrtaktik trug freilich wenig zur Vertrauensbildung bei.
Blaupause Georgien 1994
Schon einmal hat Russland "humanitäre Hilfe" als Trojanisches Pferd für militärischen Beistand für Separatisten vorgeschoben. Während des abchasisch-georgischen Krieges erhielten 1994 abchasische Separatisten in der Stadt Tkvartscheli, die von der georgischen Armee eingekreist waren, Waffenlieferungen. Versteckt war das Kriegsgerät in einem "Hilfskonvoi", den Georgien damals aus humanitären Gründen passieren ließ. Zuständig für das russische Tarnmanöver war damals Sergei Shoigu, der heutige Verteidigungsminister. Die geheime Waffenhilfe führte schließlich zur Niederlage Georgiens und zur Abspaltung Abchasiens. Diesen Fehler will Kiew nicht wiederholen. Viele Ukrainer stellen sich aber die bange Frage, wie Moskau reagiert, wenn die Hilfstrucks an der Grenze gestoppt werden. Manche befürchten, dass diese dann direkt zu den Kriegsschauplätzen im Osten umgeleitet würde. Dort kontrollieren die Separatisten immer noch mehrere Grenzabschnitte. Auch die EU ist besorgt und will möglicherweise noch in dieser Woche ein Krisentreffen der Außenminister einberufen.
Derweil gehen die Kämpfe im Osten weiter. Prorussische Separatisten töten nach Angaben des ultranationalistischen Rechten Sektorsam Mittwoch zwölf ihrer Kämpfer und verschleppten andere in einem Hinterhalt bei bei Donezk. Laut UN-Schätzungen stieg die Zahl der Todesopfer des Konflikts inzwischen auf 2000.