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Moskau sagt ja zu Friedensplan

Von Michael Schmölzer

Politik

Humanitäre Lage in Syrien wird immer verzweifelter.
| Blockadepolitik wird brüchig, Russland sieht Diktator Assad zunehmend kritisch.


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Moskau/New York. Russlands "Njet" war in Stein gemeißelt - was bisher jeden Versuch des UNO-Sicherheitsrates, eine Syrien-Resolution zu verabschieden, zum Scheitern verurteilte. Jetzt aber lockert der Kreml seine Blockade-Haltung, ein Stein scheint ins Rollen gekommen zu sein. Den Anfang macht ein kurzes Statement von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, dass man einer Erklärung des Sicherheitsrates, die eine Beendigung der Gewalt in Syrien fordert, zustimmen werde.

Moskau reagiert damit auf die Vermittlungsbemühungen des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan, der zuletzt in Damaskus war und dort einen Waffenstillstand und die Aufnahme des Dialogs zwischen Regime und Opposition forderte. Das Einlenken Moskaus ist zudem Indiz dafür, dass man Syriens Machthaber Bashar al-Assad jetzt kritischer als zuvor sieht. Auf die bedingungslose Rückendeckung kann der Diktator nicht mehr zählen, Moskau erkennt an, dass auch das syrische Regime für die Gewalt im Land verantwortlich ist - und sich nicht bloß gegen ein paar "Terroristen" wehrt, wie das syrische Regime behauptet. Die Führung in Damaskus habe auf die ersten friedlichen Demonstrationen vor einem Jahr falsch reagiert, kritisiert Lawrow. Trotz vieler Reformversprechungen mache sie "viele Fehler". Das sind neue Töne aus Russland, die bisher so nicht zu hören waren.

Erstmals könnte sich die internationale Gemeinschaft einig sein, auch wenn es sich nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner handelt, auf den sich die UNO-Vetomächte verständigen konnten. Weitreichende und konkrete Maßnahmen sind nicht zu erwarten, ein Anfang ist aber getan. Zuletzt wurde in New York noch darüber debattiert, ob dem syrischen Regime ein siebentägiges Ultimatum zur Erfüllung der Forderungen Annans gestellt werden soll. Das aber lässt Russland nicht zu. Der Sicherheitsrat sollte die Vorschläge "nicht als Ultimatum aufgreifen", sondern "als Basis für weitere Versuche, eine Einigung zwischen allen Syrern, der Regierung und allen Oppositionsgruppen in den Schlüsselfragen zu erreichen", so Lawrow.

Unsicherheitsfaktor China

Zu den Schlüsselfragen gehört offenbar die Schaffung von Möglichkeiten, die notleidende Bevölkerung und Verwundete zu versorgen. Dazu bedarf es der Einhaltung regelmäßiger Feuerpausen. Syrien wird zudem aufgefordert, mit dem Sicherheitsrat zu kooperieren. Gefordert wird von allen Seiten der Beginn eines politischen Dialogs, das Regime soll die Öffnung der syrischen Medien bewerkstelligen. Diese unterstehen derzeit Assad. Langfristig sollen die Kämpfe beendet werden.

Noch am Dienstag sollte im Sicherheitsrat über einen Syrien-Entwurf abgestimmt werden, der die Forderungen Annans enthält. Britische Diplomaten waren optimistisch, dass die Resolution angenommen wird. Offen war bis zuletzt, ob China dafür gewonnen werden kann. Peking hat ja wie Moskau bisher alle Versuche einer Einigung torpediert. Die Chinesen haben aber keine unmittelbaren militärstrategischen Interessen in der Region und sind gesprächsbereit.

Russland wird nur einer Erklärung zustimmen, in der Assad nicht als Urheber und Hauptverantwortlicher der Gewalt gebrandmarkt wird. Genau das aber ist laut internationalen Beobachtern der Fall. Zwar würden sich auch die Rebellen zahlreicher Verbrechen schuldig machen - wie etwa Hinrichtungen und Folterungen - ein Großteil der Gewalt gehe aber eindeutig auf das Konto von Assads Sicherheitskräften.

Der Kreml will offenbar erreichen, dass der Konflikt "einschläft" und Assad im Amt bleibt. Vor allem soll eine internationale Militärintervention verhindert werden. In dieser Frage ist Russland ein gebranntes Kind. Bei Libyen hatte es im UN-Sicherheitsrat einer Nato-Intervention zugestimmt, Ziel des Einsatzes sollte der Schutz der Zivilbevölkerung vor Übergriffen sein. Nach Ansicht Moskaus hat die Nato in Libyen dann aber ihr Mandat weit überschritten und den gewaltsamen Sturz Muammar Gaddafis betrieben - ein Szenario, das man auf dem syrischen Kriegsschauplatz unbedingt vermeiden will.

Wie Assad zu den Vorschlägen Annans steht, ist nicht bekannt - aber eine enorm wichtige Frage. Da Russland den Einsatz von Gewalt nicht zulässt, ist die Kooperation des Diktators Voraussetzung für jede Maßnahme. Annan zeigte sich jedenfalls nach seinem Treffen mit Assad unzufrieden: Viele Fragen seien offen geblieben, meinte er. Die syrische Opposition hat den Besuch Annans ebenfalls kritisch beurteilt. Die Forderung, in einen Dialog zu treten, sei "realitätsfern", hieß es.

Das Internationale Rote Kreuz fordert seit Monaten, dass die Konfliktparteien in Syrien täglich eine mehrstündige Waffenruhe einhalten, damit die Helfer eingreifen und die Zivilbevölkerung versorgen können. In den Zentren des Aufstands ist die humanitäre Lage verzweifelt, die Spitäler sind überfüllt, es fehlt an Medikamenten. Verletzte Rebellen lassen sich nicht in die staatlichen Krankenhäuser bringen aus Angst, dass sie dort von Sicherheitskräften aufgestöbert, misshandelt, verschleppt und getötet werden. Tausende flüchten angesichts der dramatischen Lage in die benachbarte Türkei, wo behelfsmäßige Zeltstädte errichtet werden.

Russland unterstützt jetzt die Forderung des Roten Kreuzes nach einer Feuerpause. Damit ist die Voraussetzung da, dass Moskau Druck auf Assad ausübt, die Waffen schweigen zu lassen und der Errichtung von humanitären Korridoren zuzustimmen.

Medikamente nur

auf dem Schwarzmarkt

Derzeit werden verletzte Demonstranten in improvisierten Untergrundkliniken versorgt, Hilfsgüter kommen nur auf Schmuggelpfaden ins Land. Hilfsorganisationen haben wenig Zugang zu den umkämpften Vierteln, ihre Arbeit ist nur unter gleichsam konspirativen Bedingungen möglich. Anhänger der Opposition versuchen, Verbandsmaterial und Medikamente aus staatlichen Krankenhäusern mitzunehmen, berichten Helfer. Wer dabei erwischt werde, riskiere sein Leben, heißt es. Mangel herrscht vor allem an Kunststoffbeuteln, die für improvisierte Bluttransfusionen notwendig sind. Zahlreiche syrische Händler sympathisieren allerdings mit der Opposition und geben Medikamente verdeckt an die Regimegegner ab.

Viele Güter des täglichen Bedarfs kommen über die offene Grenze zum Irak nach Syrien. Viel wird über die jordanische Grenze geschmuggelt. Der Libanon hat laut Helfern die Grenzkontrollen verschärft, weil er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, die syrische Opposition zu unterstützen. Oppositionelle berichten immer wieder, die syrischen Sicherheitskräfte würden die Fluchtrouten und damit auch die Schmuggelwege verminen.

Die Opposition verfügt in den Grenzregionen über großen Rückhalt. "Wir haben gehört, dass professionelle Schmuggler aus Jordanien oder dem Libanon humanitäre Tarife haben, also Hilfsgüter umsonst schmuggeln", erzählen Helfer aus Deutschland.

Bei den improvisierten Krankenhäusern, in denen Rebellen notdürftig versorgt werden, handelt es sich laut den deutschen Helfern meist um kleine Ambulanzen in den Kellern von Privathäusern. Zur Not wird dort auch operiert. Derartige Untergrundkliniken gibt es in Homs, Damaskus und laut den Informanten eigentlich überall dort, wo es zu Kämpfen mit der Armee kommt.

Das Rote Kreuz hat seit dem heurigen Februar Mitarbeiter in Syrien, die Helfer können aber nur reduziert aktiv werden: Die Zahl der Verwundeten steigt sprunghaft an, weil die Kämpfe immer rücksichtsloser und brutaler ausgetragen werden.