Armenien macht bei seiner Annäherung an die Europäische Union Pause.
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Eriwan. Es war mehr als nur eine Überraschung, als Sersch Sargsjan seine Entscheidung im September kundtat. Der armenische Staatspräsident verwirrte nicht nur seine Landsleute, sondern ließ auch eine überrumpelte EU zurück. Bei einem Moskau-Besuch erklärte er, dass Armenien der Eurasischen Zollunion mit Russland, Weißrussland und Kasachstan beitreten möchte - obwohl es jahrelang auf ein umfassendes Handelsabkommen mit der EU hingearbeitet hatte. Die Paraphierung des Vertrags, die für Ende des Vorjahres angesetzt war, wurde damit hinfällig.
So ist die Südkaukasus-Republik denn auch nicht im Kreise jener Staaten, die am Freitag beim EU-Gipfeltreffen die Abkommen mit der Union unterschreiben. Ihre Wahl zwischen Brüssel und Moskau fällt damit anders aus als in der Ukraine, Georgien und Moldawien. Und das gezwungenermaßen.
Wie Sargsjan erst vor kurzem in Wien erklärte, standen wirtschaftliche Vernunftgründe im Vordergrund. Sein Land ist von Russland als Gaslieferanten und Handelspartner abhängig. Ein Drittel der Exporte, vor allem Agrarprodukte, fließen dorthin. Außerdem sind hunderttausende Armenier als Gastarbeiter dort tätig: Ihre Überweisungen machen fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts aus. Dennoch schien für die EU Eriwans Entscheidung unerwartet gekommen zu sein. "Wir hätten besser auf diese Umkehr vorbereitet sein können", räumt Hoa-Binh Adjemian ein, der das Kooperationsbüro der EU-Delegation in der armenischen Hauptstadt leitet. Für die Regierung seien Fragen der Sicherheit und ökonomischen Entwicklung ausschlaggebend gewesen. Die Alternative dazu - wovor manche Experten schon vor Monaten gewarnt hatten - waren langfristige Versprechen der Europäer, die nicht unmittelbar zur Verbesserung der Situation des Landes und seiner rund drei Millionen Einwohner beigetragen hätten.
"Die EU-Staaten hatten nun Zeit, über ihr weiteres Vorgehen nachzudenken", sagt Hoa-Binh Adjemian. Der Rahmen für die Zusammenarbeit, die bisher die so genannte östliche Partnerschaft war, müsse möglicherweise geändert werden. Doch auch Armenien selbst stehe vor neuen Herausforderungen: Wie soll der Handel mit Georgien weitergeführt werden, wenn der Nachbar sich stärker an die EU samt ihrem Regelwerk bindet?
Dennoch wollen die Europäer ihr Engagement in Armenien nicht beenden, betont der EU-Beamte. Die Union stelle jährlich an die 40 Millionen Euro zur Verfügung, die für Reformen in der öffentlichen Verwaltung, im Justizbereich oder zur Unterstützung des privaten Sektors verwendet werden. Aber auch andere Organisationen sehen keinen Grund, sich von dem Land abzuwenden. So hat etwa der Europäische Fonds für Südosteuropa (EFSE), an dem unter anderem die Österreichische Entwicklungsbank beteiligt ist und der zur Finanzierung von Klein- und Kleinstunternehmen beiträgt, nicht vor, seine Tätigkeit in Armenien einzuschränken. Die Summe der ausstehenden Investitionen ist seit Ende 2013 sogar gewachsen, auf knapp 44 Millionen Euro. Es geht um die Vergabe von Krediten, heißt es aus dem EFSE-Vorstand. Das solle unabhängig von der Politik erfolgen.