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Moskau und Kiew wiegeln nach "US-Panik" ab

Von Andreas Stein, Ulf Mauder und Hannah Wagner

Politik

Wie groß ist die Gefahreiner intwernationalen Krise in der Ukraine?


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Die Nerven im Ukraine-Konflikt liegen blank. Nach den Truppenverlegungen der USA und den Aufrufen an ihre Bürger, die Ukraine zu verlassen, ziehen nun immer mehr Staaten nach. Die USA meinen, dass es nach möglichen russischen Luftangriffen und Panzerattacken gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew schon zu spät sein könnte für eine Flucht.

In den Köpfen vieler Ukrainer und Russen lösen solche Gedanken an ein Blutvergießen trotz des seit knapp acht Jahren andauernden Dauerkonflikts ungläubiges Entsetzen aus. Zwar stehen sich die Führungen in Kiew und Moskau feindlich gegenüber und trauen einander alles zu. Allerdings warnen sowohl Russland als auch die Ukraine in diesem Nervenkrieg angesichts der Nachrichten aus den USA vor "Alarmismus" und "Panikmache". Moskau spricht von einer "Propaganda-Kampagne" mit absurden Szenarien. Washington verbreite ohne Beweise Behauptungen von Geheimdiensten, der russische Einmarsch könne schon bald erfolgen - noch während der Olympischen Winterspiele oder danach. Oder gar nicht?

Tatsächlich sin die Olympischen Winterspiele das wichtigste Thema in den russischen Nachrichten, die vielen Siege in Peking, aber auch der Doping-Fall um das 15 Jahre alte Eiskunstlauf-Wunderkind Kamila Walijewa. Auch die Corona-Pandemie gehört zu den Topnachrichten. Irgendwann hinten kommt die Lage im Ukraine-Konflikt - vor allem mit Reportagen aus dem Kriegsgebiet Donezk. Die zeigen, wie Menschen sich bedroht fühlen von einem Aufmarsch ukrainischer Truppen.

Laut UNO-Schätzungen sind in dem Konfliktgebiet bisher mehr als 14.000 Menschen gestorben, die meisten von ihnen laut Statistiken auf der von pro-russischen Separatisten kontrollierten Seite. Die Hoffnungen in Donezk und Luhansk sind groß, dass im Fall einer Offensive von ukrainischer Seite Russlands Präsident Wladimir Putin seine in der Nähe stationierten Truppen in Gang setzt, um sie zu retten. 125.000 russische Soldaten und Kampftechnik stehen bereit.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betont immer wieder, sein Land lebe schon seit 2014 mit einer Dauerbedrohung durch Russland. Er beklagte am Samstag einmal mehr, der westliche "Alarmismus" schade seinem Land mehr als er nütze: "Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Lande." Sprich: Russland nütze es, wenn Angst zur Destabilisierung in der Ukraine führt.

Zudem hat Washington seine Warnungen allem Anschein nach nicht mit Kiew abgesprochen. Wenn jemand etwas mit hundertprozentiger Sicherheit sagen könne zu einem russischen Überfall, sei er dankbar für Hinweise, meinte Selenskyj. Der ukrainische nationale Sicherheitsrat beschloss in einer Sitzung am Freitag im ostukrainischen Charkiw - rund 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt - weder eine Mobilisierung noch einen Ausnahmezustand oder gar das Kriegsrecht.

Kiews Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar schrieb auf Facebook: "Veröffentlichte Pläne des Feindes sind gescheiterte Pläne." Davor müsse sich niemand fürchten. Von Kriegsangst ist in Kiew nichts zu spüren. Bei sonnigem Frühlingswetter spielen Straßenmusikanten, Menschen erholen sich in gut gefüllten Cafés.

In Moskau hingegen steht bei Putin das Telefon nicht still. Plant er einen Überfall auf die Ukraine? "Njet!" - die Antwort ist seit Wochen und Monaten und Jahren die gleiche. Aber der Westen traut ihm nicht. Dabei erklärte er in Krisengesprächen etwa mit US-Präsident Joe Biden oder Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dass er die Ukraine dazu bringen wolle, ihre Verpflichtungen für das Krisengebiet Donbass gemäß dem Minsker Friedensplan zu erfüllen. Moskau ärgert es, dass Selenskyj offen erklärt hat, dass er nichts von dem Abkommen halte.

Trotzdem laufen die Gespräche weiter. Putin dürfte dabei weiter dafür werben, Russlands Forderungen nach Sicherheitsgarantien ernst zu nehmen. Die Atommacht sieht sich von der NATO bedroht - und will deshalb etwa ein Vorrücken des Bündnisses in die Ukraine verhindern. Schon lange lösen die vielen Manöver mit Beteiligung von Soldaten der NATO-Staaten sowie die Waffenlieferungen der USA und anderer Staaten an die Ukraine bei russischen Militärs Widerstand aus. Auch die Soldaten auf russischer Seite entlang der ukrainischen Grenze gelten als ein Druckmittel, um mit dem Westen bei Gesprächen über die von Moskau geforderten Sicherheitsgarantien zu Ergebnissen zu kommen.

Russland hätte aus Sicht von Experten nur Nachteile von einem Krieg. Putin warf erst dieser Tage den USA wieder vor, die Ukraine als Spielball für geopolitische Ziele zu nutzen, um Russland zu destabilisieren. Auch Europa wäre von den Schockwellen betroffen. Schon jetzt haben die Landeswährungen in Russland und in der Ukraine an Wert gegenüber dem Dollar verloren. Kapital wandert ab. Investoren zögern. Allein für die Rohstoffgroßmacht Russland wären die wirtschaftlichen Auswirkungen eines weiteren Krieges verheerend.

Putin wolle sich vor allem Respekt verschaffen mit seinem militärischen Aufmarsch, Stärke zeigen, meint der russische Experte Andrej Kolesnikow bei der Denkfabrik Moskauer Carnegie Center. Aber mit einem Krieg könne er nichts gewinnen; und es gebe keinen Mobilisierungseffekt in der Gesellschaft. "Mit Krieg lässt sich das Rating schon nicht mehr verbessern."

Westliche Staaten drohen zudem für den Fall eines russischen Einmarsches mit beispiellosen Sanktionen - allen voran mit dem Aus der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2. Das machte zuletzt US-Präsident Biden deutlich, auch wenn es dazu aus Deutschland bisher keine klare Position gibt. Im Gespräch sind auch Strafmaßnahmen der EU, Großbritanniens und der USA, die sich gegen russische Banken und andere Teile der Wirtschaft richten.

Als eine Art "wirtschaftliche Atombombe" gilt ein möglicher Ausschluss Russlands aus dem Zahlungsverkehrssystem SWIFT, wovon allerdings auch westliche Finanzinstitute schwer getroffen würden. Im Gegensatz zu früheren Sanktionsrunden gegen Russland sollen diesmal zudem im schlimmsten aller denkbaren Fälle auch kremlnahe Oligarchen ins Visier genommen werden. (apa/dpa)