Georgien ordnet Generalmobilmachung an. | Hunderte Zivilisten getötet. | Moskau. Russland und Georgien steuern auf einen Krieg zu: In der Nacht auf Freitag startete die georgische Regierung eine Großoffensive gegen die separatistische Republik Südossetien, die sich zu Beginn der 90er Jahre mit russischer Hilfe faktisch von Tiflis losgerissen hatte. | Georgien - Analysen und Hintergrund | Truppenaufmarsch auch an der Grenze zu Abchasien
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Wenige Stunden vor der militärischen Großangriff gab sich der georgische Präsident Michail Saakaschwili noch als Friedensstifter. Er habe einen Waffenstillstand angeordnet, um die südossetischen Separatisten an den Verhandlungstisch zurück zu bringen, kündigte er am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache an. Er versprach der abtrünnigen Provinz eine "unbegrenzte Autonomie", die von Russland überwacht werden solle.
Doch kurz darauf rollten bereits georgische Panzer in Richtung Zchinwali, der südossetischen Hauptstadt. Georgien habe "entschieden, die Verfassungsordnung in ganz Südossetien wieder herzustellen", sagte ein Vertreter des georgischen Verteidigungsministeriums. Die Separatisten hätten den Waffenstillstand abgelehnt und weiterhin georgische Dörfer in der Konfliktzone beschossen.
Bereits am frühen Nachmittag - als in Peking zum Auftakt der Sommerspiele zum olympischen Frieden aufgerufen wurde - stießen erste georgische Soldaten und Panzer nach Zchinwali vor. "Die georgischen Streitkräfte kontrollieren den Großteil Südossetiens", ließ Saakaschwili in Tiflis verkünden. Während in Zchinwali der Häuserkampf tobte, begab sich der georgische Präsident 100 Kilometer entfernt in die Opferrolle. Angesichts der "russischen Aggression" habe er die Generalmobilmachung angeordnet, erklärte Saakaschwili.
In der südossetischen Hauptstadt, in der rund 30.000 Einwohner leben, seien viele Stadtviertel zerstört, berichteten russische Nachrichtenagenturen. Die Behörden in Zchinwali sprachen von mehreren hundert getöteten Zivilisten. Die georgische Seite ordnete am Nachmittag eine dreistündige Feuerpause an, um der Zivilbevölkerung die Möglichkeit zu geben, durch einen gesicherten Korridor die Kampfzone zu verlassen.
Freiwilligen-Hilfe
In der russischen Bruderrepublik Nordossetien trafen am Freitag bereits mehrere Tausend Flüchtlinge ein. Von hier aus machten sich gleichzeitig freiwillige russische Kämpfer über den Kaukasusrücken auf den Weg, um die Südosseten zu unterstützen. Bereits im Unabhängigkeitskrieg Anfang der 1990er Jahre spielten die freiwilligen Kämpfer aus dem Nordkaukasus auf Seiten der Separatisten eine wichtige Rolle.
Die nordkaukasischen Völker hätten noch nicht vergessen, dass Georgien während der Kaukasuskriege im 19. Jahrhundert auf Seiten Russlands gestanden hätte, sagt der abchasische Aussenminister Sergej Schamba. Seine Republik Abchasien ist eine weitere georgische Provinz an Russlands Südgrenze, die nach Unabhängigkeit strebt und sich nun ebenfalls zum Krieg rüstet.
Wichtigster Sicherheitsgarant für Abchasien und Südossetien ist heute Russland, das in den beiden Regionen Soldaten stationiert hat. Zehn von ihnen kamen russischen Angaben zufolge bei den jüngsten Gefechten mit georgischen Truppen ums Leben.
Russische Verstärkung
"Selbstverständlich zwingt uns die georgische Aggression zu einer Gegenreaktion", kündigte der russische Regierungschef Wladimir Putin in Peking an, wo er an der Olympia-Eröffnungsfeier teilnahm. Präsident Dmitri Medwedew berief derweil in Moskau den nationalen Sicherheitsrat ein. "Wir werden nicht zulassen, dass unsere Mitbürger ungesühnt sterben. Die Verantwortlichen werden die verdiente Strafe erhalten", warnte der Kremlherr und bezeichnete das georgische Vorgehen als "Aggression". Russland hatte in den vergangenen Jahren den Abchasen und den Südosseten russische Pässe verteilt, sodass in den umkämpften Regionen heute über 90 Prozent russische Bürger leben.
Am späten Nachmittag bestätigte das russische Verteidigungsministerium die Entsendung zusätzlicher Truppen nach Südossetien. Die georgische Seite spricht von rund 150 Panzern. Augenzeugen berichteten, dass russische Kampfjets zudem Angriffe gegen Stellungen in Georgien flogen.
Angesichts der prekären Lage rief Saakaschwili kurz darauf via CNN Washington zur Hilfe. Es sei im Interesse der USA, seinem Land zu helfen, sagte er dem US-Sender CNN in einer Live-Zuschaltung. "Es geht nicht mehr nur um Georgien. Es geht um Amerika und seine Werte. Wir sind ein Freiheit liebendes Land, das derzeit angegriffen wird."
Man arbeitete gemeinsam mit Russland daran, "eine Waffenruhe zu erreichen und den politischen Dialog zu stimulieren", hieß es aus dem State Department, das sichtlich um Deeskalation bemüht war: Schließlich waren es die USA, die Georgien im Hinblick auf einen Nato-Beitritt halfen, seine Armee aufzurüsten und die damit Moskaus Zorn provozierten.