Im Islam ist gleichgeschlechtliche Liebe immer noch ein Tabubruch.
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Paris. In dem Augenblick, in dem Mohamed Zahed erkannte, dass er verliebt war, begannen für ihn die Probleme. Bis dahin hatte er geglaubt, die Gefühle für seinen besten Freund seien "wie für einen Bruder". Bis er sich im Alter von 17 Jahren eingestand, dass er Männer liebte, war Mohamed ein überzeugter Muslim, besuchte eifrig die Koranschule, ließ sich einen Bart wachsen und suchte Kontakt zu den Salafisten.
Doch im Islam, wie er ihn kannte, durfte es einen wie ihn gar nicht geben: Homosexuell und Muslim zu sein gilt als unvereinbar. Sein Vater hatte immer erklärt, lieber lasse er sich lebendig begraben als schwul zu sein. Zwar war er aus beruflichen Gründen mit seiner Familie früh aus Algerien, wo Homosexualität offiziell verboten ist, ins südfranzösische Marseille ausgewandert. Doch auch dort fühlte sich Mohamed eingeengt.
Er geriet in eine Krise. "Entweder Homosexualität ist schlecht, muss verboten werden und ich bin krank. Oder der Islam ist ein Betrug", beschreibt der junge Mann seinen Konflikt, an dessen Ende er mit seiner Religion brach. "Ich besaß nicht die Reife, um meinem inneren Widerspruch zu begegnen", sagt er heute. 18 Jahre nach Ausbruch dieser Selbstfindungskrise scheint sie gelöst, der junge Mann fröhlich und eins mit sich. Selbst sein Vater akzeptiert den schwulen Sohn, dem es heute so viel besser geht.
Entschleierung des Glaubens
Der 35-Jährige, der sich als Ausdruck seiner französisch-algerischen Nationalität Ludovic-Mohamed nennt, hat zum Glauben zurückgefunden, ist ins weltoffenere Paris gezogen und promoviert dort über Homosexualität im Islam. Mit intellektuellen Waffen will er beweisen, dass es sich keineswegs seit jeher um ein Tabu gehandelt hat. Eine einseitige und dogmatische Auslegung einiger Koran-Verse habe sich losgelöst von spirituellen und humanistischen Werten durchgesetzt. "Der Islam rechtfertigt nicht die Diskriminierung", sagt Ludovic-Mohamed. "Er gehört niemandem."
Deshalb hat er vor einigen Monaten Europas erste "alle einschließende" Moschee bei Paris gegründet, die offen für alle ist: Homo-, Hetero- und Transsexuelle. Frauen werden dort nicht gezwungen, einen Schleier zu tragen, sie sollen sogar Imame sein können. Regelmäßig versammeln sich bis zu 50 Gläubige.
Die Eröffnung Ende November provozierte heftige Reaktionen. Die offiziellen Vertreter der Muslime weigerten sich, Ludovic-Mohameds "fortschrittliche Moschee" anzuerkennen. Unter Artikeln über ihn im Internet hat er teilweise die Kommentar-Funktion abgeschaltet, so brutal und beleidigend waren die Reaktionen mancher Leser. Weil er auch Drohungen bekam, hielt Ludovic-Mohamed die Adresse der Moschee anfangs geheim. Inzwischen ist die Angst vor Angriffen gewichen. Einmal erkannten ihn drei junge Männer auf der Straße und pöbelten ihn an. "Aber als ich ihnen antwortete, wichen sie zurück; sie konnten mir nicht einmal in die Augen sehen."
Ludovic-Mohamed Zahed hat sich ein dickes Fell zugelegt, denn er ist in mehrfacher Hinsicht eine Zielscheibe: arabisch und ein praktizierender Muslim, homosexuell und HIV-infiziert. Die geplante Homo-Ehe der sozialistischen Regierung, die am heutigen Dienstag im Parlament beschlossen werden soll, erfährt zurzeit massive Gegenwehr konservativer, katholischer, aber auch rechtsnationaler Kreise. Am Wochenende protestierten erneut Hunderttausende in Paris, in der vergangenen Woche kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, in der Nationalversammlung waren die Parlamentarier einer Prügelei nahe. Die Stimmung ist aufgeladen.
Ludovic-Mohamed, der ein Psychologie-Studium abgeschlossen hat, erklärt das mit dem Gefühl des Kontrollverlustes: "Alle sozialen Gruppen, die ihre Traditionen in Gefahr wähnen, suchen Sündenböcke und grenzen sie aus." Er wartet auf das Gesetz zur Homo-Ehe, um die Heirat mit seinem Mann Qyiaam, die 2011 in Südafrika vollzogen wurde, in Frankreich zu wiederholen. Er glaubt, die Menschen werden sich bald an die neue Realität gewöhnen. "Ein Tabu ist gebrochen. Selbst wenn man es ablehnt, spricht man wenigstens darüber." Und das befreiende Gefühl, wenn ein Tabu bricht, habe er selbst erlebt.