Eine US-Anwältin ist seit vier Jahren die einzige Ausländerin, die in Afghanistan ihren Beruf ausübt.
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Die Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gehören mittlerweile zum Alltag von Kimberley Motley. Die dreifache Mutter ist die einzige ausländische Anwältin in Afghanistan. Vom US-Außenamt engagiert, um afghanische Juristen auszubilden, hat die Amerikanerin vor vier Jahren zum ersten Mal ihre Heimat verlassen. Seither ist die Frau, die in ihrem Bundesstaat Wisconsin zur Schönheitskönigin gekürt wurde, unterwegs, um am Hindukusch rechtliche Strukturen sowie das Recht selbst durchzusetzen.
Die Arbeit gestaltet sich nicht leicht, wie die 37-Jährige berichtet. Das Erste, woran sich die Juristin gewöhnen musste: In Afghanistan zählt der Brauch mehr als das Gesetz. "Wenn einer ungeschriebenen Vorgehensweise zufolge etwas in einer bestimmten Art vorgeschrieben ist, dann wird das auch so gemacht" - selbst, wenn das Gesetz dem widerspricht, erklärt Motley. Bestechungen zur Strafminderung sind gang und gäbe, ein Nachteil für Motley, die sich beharrlich weigert, bei diesem korrupten Spiel mitzumachen.
An Verfahren nach westlichen Standards ist ohnedies nicht zu denken: Angeklagten wird oft das - per Gesetz zustehende - Recht verweigert, einen Anwalt zu kontaktieren, sich selbst zu verteidigen, oder vor Gericht zu sprechen. Zwei Drittel der Inhaftierten werden körperlich misshandelt. Das betrifft selbstverständlich auch ausländische Gefangene: "Fast nie bekommen sie von der Regierung einen Dolmetscher gestellt. Das, trotz der Tatsache, dass sie afghanischem Recht zufolge einen erhalten sollten." Sie selbst ist stets mit Dolmetscher unterwegs, da sie nicht Paschtunisch spricht.
Internationale Fälle machen das Gros ihrer Klientel aus. Doch ihr prominentester Fall war die Verteidigung einer 19-jährigen Afghanin namens Gulnaz. Diese war wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie der Cousin ihres Mannes vergewaltigt hatte. Am Hindukusch war dies ein durchaus akzeptables Urteil, doch Motley wandte sich an den Präsidenten und bat ihn um Gnade, Gnade, die Gulnaz gewährt wurde. Seither lebt das Mädchen zwar versteckt, doch immerhin ist sie dank des Engagements Motleys frei.
Dabei hätte die Tochter eines Afro-Amerikaners und einer Koreanerin eigentlich Medizinerin werden sollen - so der Wunsch der Eltern. Dass es anders kam, hat mit einem einschneidenden Ereignis während ihrer Kindheit zu tun. Nachdem ihr Vater während der Arbeit bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, weigerte sich die Versicherung zu zahlen, was der Familie fortan harte Zeiten bescherte. Damals schwor sich Motley, Juristin zu werden und Unrecht künftig zu verhindern.