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Mottenkisten

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Politik ist ein seltsames Geschäft. Das ist keine besonders originelle Erkenntnis, aber trotzdem immer wieder wert, betont und kritisiert zu werden. Das aktuelle Beispiel sind Sozialminister Rudolf Hundstorfer und sein im ORF recht kursorisch vorgetragener Vorschlag, eine Wertschöpfungsabgabe einzuführen. Die politische Replik fiel noch dünner aus: "Griff in die Mottenkiste" (ÖVP). "Der Raubzug geht weiter" (Neos).

Nun gibt es mehrere gute Argumente für und gegen eine solche Abgabe, doch so weit kommt die Totschlag-Politik gar nicht.

Der Vorschlag des Sozialministers krankt an fehlenden Erklärungen dazu. Eine Wertschöpfungsabgabe losgelöst zu fordern, ist kurios, denn sie bedeutet eine generelle Umstellung der Finanzierung der Sozialversicherung.

Denn neben der Lohnsumme würden dabei auch andere Wertschöpfungskomponenten eines Unternehmens einbezogen, etwa Gewinne, Zinsen, Mieten, Abschreibungen. Das würde die sogenannte Berechnungsgrundlage um bis zu 70 Prozent erhöhen. Und könnte zu einer deutlichen Absenkung der Belastung des Faktors Arbeit genutzt werden. Eine solche Abgabe würde kapital- und gewinnintensive Branchen stärker treffen und Unternehmen mit vielen Beschäftigten entlasten.

Dagegen spricht, dass sie technologischen Fortschritt bremsen kann, weil es billiger wird, Personal aufzunehmen statt Automaten zu kaufen. Ebenfalls dagegen sprechen enorme Umstellungskosten, denen nicht klar quantifizierte Einnahmen gegenüberstehen. Denn es benötigt auch einen Umbau des Steuersystems. Solange Unternehmen wie Microsoft oder Apple steuerlich global tricksen dürfen, gibt es auch keine Abgaben auf wertschöpfendes Kapital.

Die Wertschöpfungsabgabe deswegen zu verteufeln, ist sinnlos, denn mit derselben Logik müssten auch die Sozial- und Kommunalabgaben verteufelt werden - davon ist aber politisch nichts zu hören.

Die Wertschöpfungsabgabe wird in der bevorstehenden globalen Automatisierung (unter dem Stichwort "Industrie 4.0") eine neue Bedeutung erhalten. Soziale Sicherheit bloß mit der Lohnsumme finanzieren zu wollen, genügt bald nicht mehr. Es wäre daher gescheit, sich vorurteilsfrei mit dem Thema zu beschäftigen. Und mit jener Tiefe, die es verdient - und auch benötigt. Alles andere wäre ein Griff in die Mottenkiste.