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Mottet die CDU die "roten Socken" ein?

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Äquidistanz der deutschen Konservativen zu Linkspartei und AfD beginnt infolge des Thüringen-Desasters zu wackeln.


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Wahlkämpfe haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewandelt, einige Konstanten gibt es aber. So ist auch in Zeiten des Internets das Plakat als Werbemittel unverzichtbar. Und die Botschaften ähneln jenen von 1994: Damals warnte die CDU im deutschen Bundestagswahlkampf vor den "roten Socken". Gemeint war die PDS, Nachfolgerin der DDR-Einheitspartei SED. Aus der PDS wurde die Linkspartei. Die Abneigung blieb. 2017 etwa sah die saarländische CDU im Landtagswahlkampf eine drohende linke Regierungsbeteiligung - und errang einen fulminanten Sieg.

"Keine Koalition und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit der Linken ist per CDU-Parteitagsbeschluss festgelegt. Das gilt auch für die AfD. Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich auch mit den Stimmen von CDU sowie AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen am Mittwoch, die Empörung über die Einbindung von Rechtsaußen und die darauf folgende Rücktrittsankündigung Kemmerichs haben weitreichende Konsequenzen zur Folge. Die Ereignisse im kleinen Bundesland Thüringen könnten bundespolitische Gewohnheiten ins Wanken bringen.

Die Lösung der Pattsituation in Thüringen, wo es keine Mehrheiten ohne Einbindung von Linkspartei oder AfD gibt, liege "in einer Verständigung über Parteigrenzen hinweg - mit Ausnahme der AfD". Mit dieser Aussage stellt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Beschlusslage der eigenen Bundespartei infrage. "Zwischen AfD und Linkspartei sehe ich einen großen Unterschied", macht Kretschmer gegenüber der Funke Mediengruppe deutlich.

Derartige Töne eines CDU-Spitzenvertreters hörte man bisher lediglich von Daniel Günther. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident nannte seinen in dieser Woche abgewählten Thüringer Amtskollegen von der Linkspartei, Bodo Ramelow, einen "netten Nachbarn" in der Länderkammer. Weil Günther zum liberalen Parteiflügel zählt und sowohl geografisch als auch habituell weit entfernt ist, wurde er im besten Falle milde belächelt. Kretschmers Meinung hingegen hat im Osten Gewicht. Dank seines Einsatzes im sächsischen Landtagswahlkampf 2019 und seiner Beliebtheitswerte konnte die CDU Platz eins vor der AfD verteidigen.

Kretschmer führt einen besonders konservativen Landesverband an, dem er auch einiges abverlangen musste: Als seine schwarz-rote Koalition aufgrund hoher Verluste der SPD die Mehrheit verlor, forderten Gruppierungen wie die "Werteunion" eine Minderheitsregierung und somit unausgesprochen die Tolerierung der CDU durch die AfD. Im Osten der Bundesrepublik sind die Nationalpopulisten besonders radikal.

Kretschmer holte die Grünen mit an Bord - die er noch im Wahlkampf heftig kritisiert hatte. Eine in Ostdeutschland typische Konstellation: In der Hälfte der sechs Bundesländer regieren Schwarz, Rot und Grün notgedrungen gemeinsam. In Berlin sind SPD, Linke und Grüne an der Macht. Nur in Mecklenburg-Vorpommern reichen die Mehrheitsverhältnisse für eine Zweierkoalition von SPD und CDU.

Koalitionen ohne Alternativen

Folgen die Konservativen dem Vorstoß Kretschmers, hätten sie künftig mehr Luft für alternative Regierungsformen. Vielleicht käme dann eine Minderheitsregierung eines CDU-Ministerpräsidenten infrage, nur eben unterstützt von der Linkspartei und nicht der AfD.

Thüringen war ein besonders schlechtes Beispiel, um die Distanz von der Linken durchzuexerzieren. Zwar hat der linke Ex-Regierungschef Ramelow Schwierigkeiten mit der Abgrenzung zur DDR. Den von Konservativen gebrauchten Begriff "Unrechtsstaat" möchte er nicht gelten lassen. Das Wort sei für ihn "persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft" verbunden. Mit der Arbeit seiner rot-rot-grünen Regierung ab 2014 war aber selbst die Mehrheit der CDU-Wähler zufrieden. Die Abwahl Ramelows fällt nun insbesondere der CDU auf den Kopf. Sie verliert laut Umfrage fast zehn Prozentpunkte gegenüber der Wahl im Oktober und kommt nur mehr auf zwölf Prozent. Das ist ein desaströser Wert für eine Partei, die nach der Wiedervereinigung fast 30 Jahre stärkste politische Kraft im Freistaat war.

Maßgeblich verantwortlich für die Lage der CDU ist Landes- und Fraktionschef Mike Mohring. Er muss nun um seinen Fraktionsvorsitz bangen. Allerdings setzte Mohring seine Ablehnung von Neuwahlen in Thüringen gegenüber der CDU-Bundespartei durch. Deren Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, war düpiert. Sie sagte am Freitag, erst wenn der Versuch einer Lösung innerhalb des Erfurter Landtags scheitere, "sind Neuwahlen unausweichlich". Eine dieser Möglichkeiten wäre ein Misstrauensvotum gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Kemmerich. Er müsste allerdings durch einen Nachfolger abgelöst werden, der 46 Stimmen im Landtag erreicht. Rot-Rot-Grün kommt jedoch nur auf 42 Abgeordnete. Weder CDU noch die Freien Demokraten haben bisher signalisiert, dass sie die fehlenden vier Stimmen bereitstellen - erst recht nicht für Bodo Ramelow. Noch-Ministerpräsident Kemmerich lehnt derweil einen sofortigen Rücktritt ab. Sein Parteichef Christian Lindner erhielt am Freitag das Vertrauen der FDP-Spitze.

Das parteiinterne Votum ging ganz schnell, erst tags zuvor kündigte es Lindner an. Die Thüringer müssen mehr als drei Monate nach der Wahl noch immer auf eine neue Regierung warten.