Der britische Anti-EU-Überflieger | Ukip kämpft mit zwielichtigen Gestalten.
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London. Über ein langweiliges Leben kann sich Nigel Farage wohl nicht beklagen. Denn seine Partei Ukip, die Unabhängigkeits-Partei des Vereinigten Königreichs, beschert ihm derzeit nicht nur aufgrund des spektakulären Höhenflugs in den vergangenen Monaten jede Menge Arbeit. Kümmern muss sich der 49-Jährige, der vor allem mit kompromissloser EU-Kritik punktet, auch um die Seinen. Mal muss sich Farage von einem alten Freund trennen, der die Entwicklungsländer als "Bongo-Bongo-Staaten" abgetan und Frauen, die "hinterm Kühlschrank nicht putzen", als "Schlampen" bezeichnet hatte. Mal muss er einem Gefolgsmann die Tür weisen, der in den gegenwärtigen Überschwemmungen in Großbritannien Gottes Strafe für die Einführung der Homo-Ehe sieht.
Probleme bereiten Farage in dieser Hinsicht nicht nur niedrige Parteifunktionäre. Vor wenigen Tagen musste der Ukip-Chef auch erfahren, dass der frühere Commonwealth-Experte seiner Partei, Mujeeb Bhutto, in Wirklichkeit ein übler Gangster war, der sieben Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Und diese Woche musste er sich in aller Form von seinem Sprecher für Einwanderungsfragen distanzieren. Gerard Batten, EU-Parlamentarier und Ukip-Vorstandsmitglied, hatte nämlich nicht nur Halal-Schlachtungen und islamische Banken attackiert, sondern auch vorgeschlagen, dass jeder Moslem in Großbritannien sich zur Gewaltlosigkeit verpflichten sollte - durch Unterschrift unter eine spezielle Charta, die er extra zu diesem Zweck ausgearbeitet hatte. Das kam nicht sonderlich gut an in Westminster. Der jüdische Tory-Abgeordnete Robert Halfon etwa erkundigte sich prompt, ob der Ukip-Mann britische Moslems demnächst zum Tragen des Gelben Sterns auffordern wolle.
Natürlich sei eine solche Idee nicht Ukip-Programm, seufzte Farage nach den Enthüllungen. Der Parteichef weiß, dass er sich Parteisprecher wie Batten nicht leisten kann. Vor allem nicht seit Ukip starken Aufwind verspürt - und bemüht ist, eine Fassade bürgerlicher Respektabilität zu wahren. Denn 21 Jahre nach ihrer Gründung wittert die Ukip eine Chance zum Durchbruch. Bei einer parlamentarischen Nachwahl am nächsten Donnerstag in Manchester dürfte Ukip locker Premierminister David Camerons Konservative überrunden. Und aus den EU-Wahlen im Mai könnte Farages streitbarer Verein mit mehr als 30 Prozent der Stimmen erstmals sogar als stärkste Partei hervorgehen.
Die Konservativen versetzt diese Vorstellung in mittlere Panik. Ein Gutteil ihrer Wählerbasis droht ihnen hier wegzubrechen. Schon verlangt nahezu die Hälfte aller Tory-Aktivisten von Cameron einen Wahlpakt mit Farage. Aber auch im Labour-Lager herrscht Unruhe. Farage droht langfristig der Linken ebenso wie der Rechten das Wasser abzugraben. Und schon längst geht es nicht mehr ausschließlich um die Abkoppelung von der EU. Ukip ist zur Hoffnungsträgerin der "kleinen Leute" geworden, die sich von den Großen nicht mehr angesprochen und erreicht fühlen. Ein reiches Protest-Potenzial sammelt sich hinter der Volksbewegung gegen die etablierten Kräfte.
Und all das nicht zu gefährden, will Farage künftig auch genauer hinsehen. Verschiedene Personen hätten sich als "Enttäuschungen" erwiesen, betonte der Ukip-Chef zuletzt. Das werde sich nun durch strammere Prüfmethoden ändern - auch wenn es "nur normal" sei, "dass eine junge Partei alle Arten von Leuten anzieht".