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"Mr. Speed" und der V-Mann

Von Daniel Bischof

Strafsache um "unzulässige Tatprovokation" endete mit Schuldsprüchen und Haftstrafen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.


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Wien. In einen feinen Anzug gekleidet, nimmt der Erstangeklagte vor dem Zeugenpult Platz. Als er zu sprechen beginnt, lehnt er sich nach vorne, ganz nahe zum Mikrofon. Mit dem Sessel wippt er hin und her. "Ich hoffe, wir klären die ganze Sache", sagt der 46-Jährige erwartungsvoll.

"Die ganze Sache" wirkte auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Strafprozess wegen eines Suchtmitteldelikts: Der Erstangeklagte soll laut Anklage am 11. Dezember 2015 in Wien versucht haben, 37 Kilogramm Speed zu verkaufen. Der Käufer entpuppte sich als verdeckter Polizeiermittler. Bei der Übergabe wurden der 46-Jährige und zwei mutmaßliche Mittäter festgenommen. Am Freitag hatten sie sich vor einem Schöffensenat des Straflandesgerichts Wien (Vorsitz: Claudia Bandion-Ortner) zu verantworten.

Über der alltäglich wirkenden Strafsache hing jedoch ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 14. Juli 2016. Mit diesem Beschluss wurden in der Suchtgiftszene ermittelnden Polizisten Grenzen auferlegt. Seit 1. Juni 2016 sieht eine neue Bestimmung in der Strafprozessordnung vor: Beschuldigte dürfen strafrechtlich nicht verfolgt werden, wenn sie unzulässig zu der Tat provoziert wurden. Der OGH definierte, was darunter zu verstehen sei.

Eine unzulässige Tatprovokation liege vor, "wenn eine Person durch dem Staat zurechenbares Verhalten zur Begehung von strafbaren Handlungen" verleitet werde, "in einer dem Grundsatz des fairen Verfahrens widerstreitenden Weise". Die "für den Staat Handelnden" würden sich "nicht auf eine im Wesentlichen passive Ermittlung strafbarer Aktivitäten" beschränken. Die Ermittler würden vielmehr "einen solchen Einfluss auf die Person ausüben, dass diese zur Begehung einer Tat verleitet wird, die sie sonst nicht begangen hätte". Das sei der Fall, wenn die Behörde die Person etwa wiederholt kontaktiere, beharrlich auffordere, überrede oder (psychisch) unter Druck setze.

"Ich bin das Opfer"

Auf diesen OGH-Beschluss berief sich nun der Erstangeklagte. Eine Vertrauensperson der Polizei hätte ihn zu dem Drogengeschäft mit dem verdeckten Ermittler gezwungen, behauptete der 46-Jährige beim Prozessstart im September. Der V-Mann habe ihn eingeschüchtert und erpresst. Einmal habe dieser ihn sogar in den Kofferraum gesperrt und mit Benzin übergossen, sagte er.

"Ich bin das Opfer", verteidigte er sich auch am Freitag. Am Tag der Drogenübergabe sei sein "Leben die Hölle gewesen". "Ich bin von der Cobra geschlagen worden. Mein Kopf war doppelt so groß."

Der Schöffensenat glaubte den Aussagen des 46-Jährigen nicht und verurteilte ihn zu einer achtjährigen unbedingten Freiheitsstrafe. Die beiden mutmaßlichen Mittäter - sie spielten laut Bandion-Ortner eine untergeordnete Rolle - erhielten eine dreijährige unbedingte Haftstrafe.

Hinsichtlich eines weiteren Vorwurfs wurde der Drittangeklagte - er soll bei seiner Festnahme Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet haben - "im Zweifel" freigesprochen. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Der Verteidiger des Erstangeklagten, Mirsad Musliu, meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Philipp Wolm und Wolfgang Haas, die Verteidiger der angeblichen Komplizen, verzichteten auf Rechtsmittel.

Ermittler "glaubwürdig"

"Das war sicherlich keine unzulässige Tatprovokation", sagte Bandion-Ortner in der Urteilsbegründung. Der Erstangeklagte habe sich bereits beim ersten Treffen mit dem verdeckten Ermittler als "Mr. Speed" vorgestellt. Zwischen der Vertrauensperson der Polizei und dem Erstangeklagten hätte in den aufgezeichneten Unterhaltungen ein "sehr freundschaftlicher Ton" geherrscht - da passe es nicht zusammen, dass der Erstangeklagte angeblich von ihm gefoltert und erpresst wurde.

Der verdeckte Ermittler hätte einen "glaubwürdigen Eindruck gemacht". Bandion-Ortner hielt fest: "Es kann nicht sein, dass die Polizei nicht über geeignete Ermittlungsmethoden verfügt. Auch wenn es Grenzen gibt."