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Muezzin statt Kruzifix

Von Vilja Schiretz und Michael Schmölzer

Politik

Die Hagia Sophia ist ab jetzt eine Moschee. Die christlich-orthodoxe Geistlichkeit spricht von "Schändung".


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Von den Türmen der Hagia Sophia ertönt jetzt wieder der Ruf des Muezzin. Am Freitag versammelten sich zum ersten Mal seit 1934 muslimische Gläubige in der ursprünglich christlichen Basilika, um Allah zu preisen. Zuvor hatte das türkische Höchstgericht entschieden, dass das Gebäude wieder ein islamisches Gebetshaus wird. In den Parks vor dem Kuppelbau hatten sich schon in der Nacht Gläubige versammelt, um dem Ereignis entgegenzufiebern. Wegen der Corona-Pandemie waren nicht mehr als 1000 Betende in der Moschee zugelassen.

 

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, auf dessen Betreiben die Umwidmung des Gebäudes stattfand, setzte sich am Freitag groß in Szene. Alle Fernsehkameras auf sich gerichtet, war er mit anderen hochrangigen türkischen Politikern extra nach Istanbul gekommen. Er hörte andächtig der Predigt des Imams zu und zitierte selbst einige Koranverse.

Bestürzung und Jubel

Das Ereignis löste weltweit heftige Reaktionen aus. Das sei ein erster Schritt gewesen, jubeln arabische Medien, nun wäre die Rückeroberung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem nicht mehr fern.

In der christlichen Welt macht sich Bestürzung breit. Papst Franziskus in Rom meinte, er empfinde "großen Schmerz". In den Reihen der griechischen Orthodoxie ringt man um Fassung. Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche Griechenlands, Erzbischof Hieronymos, spricht sogar von "Schändung". US-Präsident Donald Trump ließ es sich nicht nehmen, das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Erzdiözese in den USA, Elpidophoros, am Freitag im Weißen Haus zu empfangen. Trump soll bei dem Treffen seine Missbilligung und Besorgnis über den Schutz der Religionsfreiheit in der Türkei ausgedrückt haben.

In den Reihen der türkischen Regierung versteht man die Aufregung nicht. Der stellvertretende Vorsitzende der regierenden AKP, Cevdet Yilmaz, meinte, dass man das Gebäude aus dem 6. Jahrhundert problemlos gleichzeitig als Museum und als Moschee nutzen könnte.

Auch wies er darauf hin, dass die Regierung in den letzten Jahren mehr als tausend Immobilien an die nichtmuslimischen Minderheiten zurückgegeben hätte. "Es trifft zu, dass christliche Gemeinden unter den AKP-Regierungen einen besseren rechtlichen Status genießen und besser mit den Behörden zusammenarbeiten als davor", schreibt dazu die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Dessen ungeachtet ist klar, dass die Umwidmung ein weiterer Versuch Erdogans ist, die neue Geltung der muslimisch geprägten Türkei in der Region und ein erstarkendes Selbstbewusstsein zu unterstreichen. Ein rein populistisches Manöver, das Erdogan neue Unterstützung in der Bevölkerung sichern soll. Der Applaus vieler religiöser Türken ist ihm jedenfalls sicher. "Heute wird unsere 86 Jahre dauernde Sehnsucht gestillt", meinte ein Gläubiger am Freitag sichtlich bewegt. So wie er denken heute viele in der Türkei.

Die Hagia Sophia war zunächst eine christliche Kirche, dann, nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453, wurde sie zur Moschee. Der große Reformer Kemal Atatürk untersagte 1934 die Nutzung als Gebetshaus und erklärte die Hagia Sophia zum Museum.

Die Gebetsrichtung entscheidet

Die jetzige Umwidmung durch das oberste türkische Verwaltungsgericht macht einige Veränderungen notwendig. So werden ab jetzt christliche Mosaike während der muslimischen Gebete verhüllt oder mit Laser unsichtbar gemacht. Einige Bildnisse, die Maria und den Erzengel Gabriel zeigen, befinden sich in der sogenannten Qiblah, die Muslimen die Gebetsrichtung nach Mekka anzeigt. Andere Mosaike, die unter anderem Jesus zeigen, aber nicht in Gebetsrichtung liegen, stellen somit kein Problem dar. Sie werden nicht verdeckt.

Aufregung um ein christliches Gotteshaus und dessen mögliche Entehrung durch den Islam gab es übrigens auch in Wien. Allerdings muss man hier einige Jahrhunderte zurückgehen. Auf der Spitze des Wiener Stephansdoms prangten ursprünglich ein goldener Halbmond und ein Stern. Als die Türken 1683 die Stadt zu zweiten Mal belagerten, sorgte das Symbol bei den Wienern für große Empörung. Man wollte das "gottlose Waffenzeichen der Türken" demontieren. Was auch geschah. Allerdings sollte das Mond-Stern-Bildnis laut neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen das Kaiser- und das Papsttum symbolisieren. Das war 1683 aber in Vergessenheit geraten.

Moschee wird zur Kirche

Weitgehend unbekannt ist heute, dass in der Vergangenheit viele Moscheen in Kirchen umgewandelt wurden, etwa in Spanien. Dort hatte Königin Isabella I. im 15. Jahrhundert die Mauren und Juden aus ihrem Reich vertrieben. Nach Abschluss der sogenannten Reconquista wurde inmitten der Moschee von Cordoba eine christliche Kathedrale errichtet. Dennoch behielt die spanische Architektur Merkmale des maurischen (islamischen) Stils über ein Jahrhundert bei. Bis Ende des 16. Jahrhunderts wurden Gebäude im sogenannten Mudejar-Stil errichtet, den Elemente wie Hufeisenbögen, Deckenschnitzereien und geometrisch gemusterte Fliesen prägen. Sogar das Kloster San Juan de los Reyes in Toledo, das Isabella, die vom Papst den Beinamen "die Katholische" erhielt, als Mausoleum für sich und ihren Mann vorgesehen hatte, weist diese Merkmale auf. In Sevilla dient das Minarett der abgerissenen Moschee heute als Glockenturm der Kathedrale.

Wobei die christlichen Umwidmungen auch in den letzten 100 Jahren nicht immer gewaltfrei abliefen: Auf Kreta wurde in den 1920er Jahren eine Moschee zur heutigen orthodoxen Agios-Titos Kirche, nachdem die dort ansässige muslimische Minderheit vertrieben worden war. Umgekehrt wandelten die Türken nach der gewaltsamen Invasion in Nordzypern 1974 Kirchen in Moscheen um. Andere christliche Gotteshäuser wurden dort dem Verfall preisgegeben. Einige sind, wie die Hagia Sophia, als Museum begehbar.