Moussavi kritisiert geistlichen Führer Khamenei scharf. | Pilz fordert Öffnung der österreichischen Botschaft in Teheran. | **Teheran. Bei den bisher schwersten Unruhen in Teheran seit Beginn der Oppositionsproteste sind mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen und mehr als hundert weitere verletzt worden. Die Studentenorganisation ISSM (Iranian Students Solidarity Movement) setzte die Zahl der Todesopfer landesweit in einer Aussendung sogar mit über 300 an. Allein in Teheran habe es 23 Tote gegeben.
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Das iranische Staatsfernsehen machte am Sonntag bewaffnete "Terroristen" für die Unruhen am Vortag verantwortlich. Vizepolizeichef Ahmad Resa Radan erklärte, eingeschleuste "Randalierer und Agenten" hätten die Menge aufgestachelt.
Oppositionsführer Mir-Hossein Moussavi kritisierte in beispielloser Schärfe den geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei. Mit aller Härte war die iranische Staatsmacht am Samstag gegen die Demonstranten vorgegangen, die sich trotz eines Verbots erneut zu Tausenden in Teheran versammelt hatten. Auf dem zentralen Enkelab-Platz verhinderte laut Augenzeugen ein massives Polizeiaufgebot eine Großkundgebung. Die Polizei habe Tränengas und Wasserwerfer mit kochend heißem Wasser eingesetzt.
Bis zu zweitausend Anhänger Moussavis waren vor der Universität im Zentrum der iranischen Hauptstadt zusammengekommen. Am Rande der Proteste wurde ein Selbstmordanschlag am Schrein von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini verübt. Der Attentäter wurde getötet, nach Angaben der Nachrichtenagentur Irna wurden drei weitere Menschen verletzt.
Moussavi forderte am Samstagabend abermals eine Annullierung der Wahl. In scharfen Worten warf er Khamenei, ohne diesen beim Namen zu nennen, vor, das politische System des Iran umwälzen zu wollen. Nicht nur solle dem iranischen Volk eine Regierung aufgezwungen werden, darüber hinaus gehe es darum, dem Land ein "neues politisches Leben" zu verordnen, hieß es auf Moussavis Website. Zugleich bekannte sich Moussavi zu den "Prinzipien der Islamischen Republik".
Auf Khameneis Verteidigung des umstrittenen Wahlergebnisses antwortete Moussavi: "Wenn dieses ungeheure Ausmaß an Betrug (...) als Beweis dafür präsentiert wird, dass es keinen Betrug gab, dann wird der republikanische Aspekt des Systems zerschlagen, und das bewiese, dass der Islam mit der Republik unvereinbar ist." Khamenei hatte den Betrugsvorwurf zuvor mit dem Argument gekontert, dass es die "Mechanismen unseres Landes" nicht zuließen, um elf Millionen Stimmen zu betrügen. Soviele Stimmen trennen Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad von dem angeblich unterlegenen Moussavi.
Der iranische Außenminister Manoucher Mottaki warf Großbritannien ein Komplott vor. Großbritannien habe sich "seit mehr als zwei Jahren" gegen die Wahlen verschworen, sagte Mottaki vor ausländischen Diplomaten in Teheran. Vor der Wahl am 12. Juni seien "Elemente", die mit dem britischen Geheimdienst in Verbindung stünden, in den Iran gekommen. Der britische Außenminister David Miliband wies die Vorwürfe aus Teheran zurück und erklärte, keineswegs würden die Proteste gegen die iranische Führung vom Ausland angeheizt.
In seiner bisher deutlichsten Stellungnahme zu den Protesten im Iran forderte US-Präsident Barack Obama ein Ende der Gewalt. Die Regierung in Teheran müsse "jegliche Akte der Gewalt und der Ungerechtigkeit gegen das eigene Volk" einstellen. "Die iranische Regierung muss verstehen, dass die ganze Welt sie beobachtet", erklärte Obama. Die universellen Rechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit müssten geachtet werden. Ähnlich äußerte sich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag in Berlin, die in einer Erklärung eine Neuauszählung der Stimmen der Präsidentenwahl im Iran forderte.
Ahmadinejad forderte die USA und Großbritannien auf, sich nicht länger in die inneren Angelegenheiten seines Landes einzumischen. Mit "übereilten Äußerungen" machten sie sich nicht zu Freunden der iranischen Nation, erklärte Ahmadinejad auf seiner Website. "Aus diesem Grund fordere ich Sie auf, Ihre Einmischungen zu unterlassen", hieß es dort weiter.
In Österreich forderte der Grünen Sicherheitssprecher Peter Pilz die Öffnung der österreichischen Botschaft in Teheran für Menschen, die dort Zuflucht suchen wollen. Durch Anrufe von "kurdischen Freunden" und anderen Betroffenen wisse er, dass "viele Menschen in Gefahr" seien, sagte Pilz am Sonntag der APA. Es wäre daher ebenso ein "politisches Signal" wie ein "humanitäres Zeichen", wenn Österreich "Flüchtlingen" in seiner diplomatischen Vertretung Schutz biete.
Dies sei dringend notwendig, forderte Pilz. "Allein die Dichte der Anrufe zeigt, dass es sich um eine außergewöhnliche Situation" handelt. Sollte es keine Reaktion geben, werde er Anfang kommender Wochen einen Antrag auf Einberufung des Nationalen Sicherheitsrats stellen. Seitens des Außenministeriums hieß es, die österreichische Botschaft in Teheran sei rund um die Uhr, auch außerhalb der offiziellen Amtsstunden, erreichbar.
Es sei zudem ein "Gebot der Menschlichkeit", dass für Erste Hilfe gesorgt werde, wenn sich "Schwerverletzte" an die Botschaft wenden sollten, sagte Außenministeriums-Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal der APA. Dann werde auch veranlasst, dass diese umgehend in medizinische Betreuung übergeben würden.