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Mundhalten für Singapur-Dollars

Von Alina Lindermuth

Politik
Die strikten Regeln spüren auch die Jüngsten.
© reu/D. Loh

Am Sonntag feiert Singapur seinen 50er. Meinungsfreiheit steht nicht auf der Tagesordnung.


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Singapur. Wo noch vor fünfzig Jahren Straßenhändler in gezimmerten Garküchen heiße Speisen anboten, eilen heute Geschäftsleute im Maßanzug von einem Wolkenkratzer zum nächsten. Seit der Gründung Singapurs 1965 hat der Stadtstaat eine Metamorphose vollzogen. Das ökonomische Herz Südostasiens ist weltweit nicht nur für Kaugummiverbote bekannt, sondern auch für das Bankgeheimnis und seinen hohen Lebensstandard. Doch Singapurs glorreicher Aufstieg hatte einen Preis: politische Freiheiten. Der wirtschaftliche Erfolg ging mit politischer Repression einher. Der Staat regelt das Land mit harter Hand.

Offiziell ist Singapur eine Demokratie. Allerdings ist die regierende People’s Action Party (PAP) seit den Wahlen von 1959 an der Macht - und das bis heute. Lee Kuan Yew, Mitgründer der Partei und 31 Jahre lang Premierminister, gilt als der Mann, der Singapur zu einer der modernsten Städte Asiens machte. Als er im März dieses Jahres starb, versank die Tropenstadt in tiefer Trauer. 1,2 Millionen Menschen erwiesen ihm die letzte Ehre, eine einwöchige nationale Trauerzeit wurde ausgerufen.

In Singapur gilt Lee Kuan Yew als Pionier, als einer, der es verstand, mit Blick in die Zukunft die Weichen in der Gegenwart zu stellen. Westliche Demokratie-Verfechter aber runzeln über die singapurische Verehrung von Lee die Stirn. Sie sehen in der Regierungsform ein Einparteiensystem, sogar einen Autoritarismus. Der PAP wird seit Jahren vorgeworfen, oppositionelle Gegner durch ein Mehrheitswahlrecht, durch Manipulation und zivilrechtliche Klagen aus dem Weg zu schaffen.

Das öffentliche und private Leben in Singapur ist strikt geregelt. Zur Überregulierung kommt strenge Pressezensur. Unproportional hohe Strafen wie die Auspeitschung von Graffiti-Sprayern sind keine Seltenheit. Wenn in Singapur mehr als drei Menschen öffentlich über Politik, Religion oder Staatsangelegenheiten reden möchten, braucht es eine staatliche Lizenz. Loo Khee Sheng, Rechtsprofessor der Singapore Management University, spricht aus, was man in den Straßen Singapurs öfter hört: "Demokratie in Singapur ist etwas, das sich erst entwickelt."

Singapur ist reicherals Österreich

Trotzdem hat der tropische Zwergstaat eine hochfunktionelle Marktwirtschaft: Obwohl das Land kaum über Territorium oder Rohstoffressourcen verfügt, zählte Singapur 2014 bei einem BIP von 56.319 US-Dollar pro Einwohner laut Weltbank noch vor Österreich oder den USA zu den reichsten Ländern der Welt. Ölverarbeitende Industrie, Elektronik- und Maschinenbau und ein gut ausgebauter Dienstleistungssektor sind dort ebenso einträglich wie Gesundheitstourismus und SpitzenUniversitäten.

Es sind also große Mengen Singapur-Dollars, die die chinesischen, indischen oder malaiischen Geschäftsleute einnehmen. Fraglich ist, wie dieses großzügige Einkommen in der Bevölkerung verteilt wird. Sie besteht aus zirka 74 Prozent Chinesen, 13 Prozent Malaien und 9 Prozent Indern. Der Reichtum ist allerdings keineswegs gleich verteilt: Die chinesischstämmige Mehrheit bildet die Oberschicht, Menschen malaiischen oder indischen Ursprungs gelten als gesellschaftlich benachteiligt.

2013 kam es im indischen Viertel zu einem Aufstand, dessen Beweggründe die wachsenden Unterschiede der ethnischen Gruppen, die Bedingungen für Leiharbeiter - meist Inder - und die Abhängigkeit Singapurs von ausländischen Arbeitskräften waren. Unstimmigkeiten in der Bevölkerung bestehen also, und das, obwohl es beispielsweise in jedem Wohnblock Singapurs ein Quotensystem gibt, das jeder ethnischen Gruppen Wohnungsanspruch gewährt.

80 Prozent leben im öffentlichen Wohnbau

Besagte Wohnblöcke sind überall auf der Insel zu finden. Der öffentliche Wohnbau Singapurs, ursprünglich für finanziell schwache Familien gedacht, ist mittlerweile ein gesellschaftliches Konzept. So lebten 2013 mehr als 80 Prozent der Einwohner in subventionierten Wohnungen - 95 Prozent der Bewohner sogar mit Eigentumsrecht auf 99 Jahre.

Neben guten Wohnmöglichkeiten genießen Singapurer auch eine der besten Luftqualitäten südostasiatischer Städte. Unter anderem, weil das Fahren des eigenen Autos mit großen Hindernissen verbunden ist. Jeder, dem die Öffis nicht attraktiv genug erscheinen, muss vor dem Autokauf eine befristete Lizenz ersteigern. Um die Anzahl von Autos weiter zu beschränken, werden diese mit Importzöllen und Umweltabgaben von bis zu 200 Prozent besteuert. Beim Fahren fallen dann noch zeit- und ortsabhängige Mautgebühren an.

Der Staat ist in Singapur also in jedem Aspekt des Lebens präsent. Wen das stört, der hat wenige Möglichkeiten, sich aufzulehnen. Doch wollen das die Singapurer überhaupt? Gute Schulen, saubere Straßen, einträgliche Wirtschaft - Umstände, von denen der Rest Südostasiens nur zu träumen vermag. Viele heutige Singapurer kommen ursprünglich aus diesen Ländern. Und darum scheint es manchmal so, als würde dieses Leben auf hohem Standard das bisschen Mundhalten aufwiegen.