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Das Versprechen des Präsidenten eines demokratischen, zivilen und modernen Ägyptens steht gegen das Projekt Scharia des Verfassungskonvents.
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Ägyptens Präsident Mohammed Mursi vermittelte zwischen Israel und der Hamas eine Waffenruhe. Dafür erntete er international großes Lob, das er sogleich innenpolitisch für eine riskante Maßnahme ausnützte: Per Dekret legte er fest, dass die Justiz keine Entscheidung des Präsidenten oder des Parlaments aufheben könne. Damit beendete er die rechtsstaatliche Gewaltenteilung und löste Proteststürme gegen den "neuen Pharao" aus. Mursi knickte ein: Das Dekret gelte nur für begrenzte Zeit.
Damit konterkarierte er das Versprechen bei seinem Amtsantritt im Juni, in Ägypten einen "demokratischen, zivilen und modernen Staat" aufzubauen. Damals fuhr ihm die Armee in die Parade und dekretierte einen Verfassungszusatz, der dem Präsidenten den Oberbefehl nahm. Im August strich Mursi diesen Verfassungszusatz und wechselte die gesamte Armeeführung aus. Im Juni annullierte das Höchstgericht die Parlamentswahlen, Mursi rief das nun formal rechtswidrige Parlament aber per Dekret wieder zusammen.
Angesichts dieser Turbulenzen bürgt der Verfassungskonvent für Ungemach zumindest aus der Sicht jener Menschen, die dem Land durch den Sturz des Diktators Hosni Mubarak einen "ägyptischen Frühling" bringen wollten. Die ersten freien Wahlen im Winter gewannen aber nicht die Frühlingsboten, sondern Islamisten unterschiedlicher Ausprägung mit 65 Prozent der Stimmen. Daher stellen sie auch die Mehrheit der hundert Mitglieder des Verfassungskonvents.
Der Verfassungsentwurf entspricht weder Mursis Idee von "demokratisch, zivil und modern" noch den Zielen des "ägyptischen Frühlings". So sollen die "Grundsätze" der Scharia Hauptquellen der Gesetze sein und die Gleichstellung der Frau nicht den Vorschriften der Scharia widersprechen. Scharia bedeutet nach dem Wortlaut des Koran "Weg zur Wasserquelle", also zu Allahs Geboten. Sie enthält den Koran als Offenbarung Gottes und die später gesammelten Erklärungen Mohammeds. Im Unterschied zu unserem Rechtsverständnis geht alles Recht von Gott aus, und alles ist verboten, was nicht gesetzlich erlaubt ist.
Offensichtlich hält sich der Verfassungskonvent an die 1990 von 57 muslimischen Staaten gebilligte "Kairoer Erklärung über die allgemeinen Menschenrechte im Islam". Sie stellt unter anderem fest, dass alle Rechte und Freiheiten der Scharia nachgeordnet seien; der Frau komme gleiche Würde, nicht aber die Gleichstellung mit dem überlegenen Mann zu; die Meinungsfreiheit ende bei der "Heiligkeit und Würde des Propheten" und dem Glauben der Gesellschaft; die Erziehung müsse den ethischen Werten der Scharia entsprechen. Dieser Deklaration fehlt aber jeder Hinweis auf Freiheit von Gewissen, Religion oder Weltanschauung. Hingegen versteht sie unter Scharia die Einheit von Islam und Staat. Dieses Rechtssystem gilt heute im Iran, in Saudi-Arabien, in Katar, in Kuwait, im Sudan und im Jemen.
Ob in Ägypten künftig die Scharia oder Mursis Idee - "demokratisch, zivil, modern" - gilt, soll bald eine Volksabstimmung entscheiden. Zur Wahl stehen Allahs Wort oder ein "demokratischer Frühling".