Am Donnerstag soll ein türkisches Gericht entscheiden, ob die Hagia Sophia wieder zur Moschee wird. Mit der religiösen Karte hofft Präsident Erdogan, seine Basis stabilisieren zu können.
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Über ihre Bedeutung lässt die Hagia Sophia den Besucher niemals im Unklaren. Der mächtige Sakralbau, der fast ein Jahrtausend lang das größte Gotteshaus der Christenheit war, thront von weithin sichtbar über dem historischen Stadtzentrum Istanbuls. Und nicht nur geografisch fließen hier am Ufer des Bosporus Orient und Okzident zusammen. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels 1453 wandelten die Osmanen die Kirche in eine Moschee um, bis schließlich Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk die Hagia Sophia im Jahr 1934 zum Museum umwidmete und damit für alle zugänglich machte.
Doch dieser spezielle Status scheint nun wieder einmal in Gefahr zu sein. Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei urteilt am Donnerstag darüber, ob die Hagia Sophia - so wie von islamischen Fundamentalisten gefordert und auch von Präsident Recep Tayyip Erdogan schon seit Jahren regelmäßig angeregt - wieder zur Moschee wird.
Auf der Agenda wieder weit nach oben gereiht hatte Erdogan das Thema schon vor knapp einem Monat. Am 29. Mai, dem 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen, ließ der türkische Staatschef in der früheren christlichen Basilika aus dem Koran die Sure der Eroberung verlesen. Via Video in die Hagia Sophia zugeschaltet, hielt Erdogan dazu eine mit theatralischen Gesten durchsetzte Ansprache, während draußen von der Tür ein Multimedia-Spektakel den Sturm der Türken auf das heutige Istanbul nachzeichnete.
Der Präsident unter Druck
Dass Erdogan ausgerechnet jetzt den Status quo antastet, der der Türkei Jahr für Jahr 30 Millionen Euro an Eintrittsgeldern beschert, kommt aber nur auf den ersten Blick überraschend. Denn auch schon in der Vergangenheit hat der Staatschef vor allem dann Hand an die Idee einer überkonfessionellen Hagia Sophia gelegt, wenn er innenpolitisch unter Zugzwang gestanden ist. Als seine AKP bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr in den Umfragen deutlich unter den Erwartungen lag, machte sich Erdogan dafür stark, Muslimen das Gebet in dem seit 1985 zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Bauwerk zu ermöglichen.
Die nächsten Wahlen sind in der Türkei zwar erst im Jahr 2023 angesetzt, doch im Augenblick steht Erdogan gleich an mehreren Fronten unter Druck. So ist zu den Konflikten mit den USA und den EU-Staaten Griechenland und Zypern nun auch noch ein militärisches Abenteuer in Libyen hinzugekommen, von dem niemand sagen kann, wie es ausgeht. Am schwersten wiegt derzeit aber wohl die noch immer nicht ausgestandene Corona-Epidemie im Land. Denn die sich ohnehin schon in schwierigem Fahrwasser befindliche türkische Wirtschaft ist in den vergangenen Wochen und Monaten noch einmal massiv eingebrochen, was sich auch unmittelbar in den Popularitätswerten von Erdogans AKP niederschlägt. So liegt die Regierungspartei, die stets auch dafür gewählt wurde, dass sie breiten Schichten den ökonomischen Aufstieg ermöglicht hat, in den Umfragen mehrer Meinungsforschungsinstitute bei nur noch knapp 30 Prozent.
Doch Erdogans Versuch, seine Basis mit Hilfe der religiösen Karte zu stabilisieren, ist nicht ohne Risiko. So dürfte vor allem Russland, zu dem es nach all den Spannungen nun endlich eine einigermaßen gute Gesprächsbasis gibt, als Schutzmacht des orthodoxen Christentums die Umwidmung der Hagia Sophia als Provokation empfinden. Schon nach Erdogans Ansprache anlässlich des Jahrestags der Rückeroberung Konstantinopels hatte sich das Außenamt des Moskauer Patriarchats empört gezeigt und von einer "Gefahr für das friedliche Zusammenleben von Religionen und Völkern" gesprochen. Widerstand dürfte zudem aus Griechenland, aber auch aus den USA kommen.
Umsetzung schon im Juli?
Sollte das Verwaltungsgericht am Donnerstag den Weg freimachen, könnte die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee schon am 15. Juli umgesetzt sein. Eine entsprechende Weisung Erdogans soll laut der katholischen Presseagentur bereits vorliegen. Allerdings ist nicht gewiss, ob der Präsident nicht noch im letzten Moment die Notbremse zieht. Denn wirtschaftlicher Druck aus christlich-orthodox geprägten Staaten ist derzeit wohl das Letzte, was Erdogan gebrauchen kann.