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Musik als Brücke, nicht als Kodex

Von Emanuela Hanes

Politik

Wien ist ein Magnet für Musikstudenten aus China und Taiwan. | Die Komponistin Ming Wang verknüpft Ost und West miteinander.


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Wien. Im Vergleich zu japanischen und koreanischen Musikstudenten sind sie in der Unterzahl. Aber Wiens Bekanntheit als Stadt der Musik bewirkt auch hier einen Zuwachs: Seit Chinas zögerlicher Öffnung schicken immer mehr Eltern ihre Kinder zum Studieren hierher. Ab dem Ende der 70er Jahre überrollte eine Welle der Wiener Musikkultur das Reich der Mitte und die Ausreise wurde allmählich erleichtert.

Bis vor einigen Jahren war das Studium in Österreich auch ökonomisch sinnvoll, denn chinesische Studenten zahlten hier keine Studiengebühren. So sah es ein Abkommen als Teil der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit vor. Obwohl diese Unterstützung gestrichen wurde, sind die Studentenzahlen nicht zurückgegangen. Ein Musikstudium in der bekannten Musikstadt öffnet dem künftigen Berufsleben Tür und Tor und führt zur Bewunderung der gesamten Familie. Jeder kennt die Stadt, in der Mozart und andere Musiker wirkten, auf den Fünf-Tage-Europa-Busreisen wird Wien nie ausgelassen.

Auch aus Taiwan kommt Zustrom an heimische Musikunis. Geschätzte 200 chinesische und taiwanesische Musikstudenten gibt es in Wien. Die Musiktradition des chinesischen Nachbarstaats, den die Republik China noch immer als abtrünnige Provinz betrachtet, ist mit der chinesischen beinahe identisch.

Die Offenheit für moderne Musik fehlt in Taiwan noch

Die Komponistin Ming Wang aus Taipeh verbindet in ihren Werken asiatische und westliche Einflüsse. Dass sie nach dem Musikstudium 1989 nach Wien kam, um bei Dieter Kaufmann Komposition zu studieren, verdankt sie dem Zufall, erzählt Wang: "Ich wollte unbedingt nach Europa: Ein Professor in Taiwan, den ich sehr schätzte, kam aus München. Doch mein Visumantrag für Deutschland ging verloren. Deshalb kam ich nach Wien. Mittlerweile bin ich sehr froh darüber." Alle Kommilitonen hätten sie damals beneidet: "Wien ist eine Musikstadt, alle wollen da hin."

Der Grund, hier Musik zu studieren, hatte auch mit der künstlerischen Atmosphäre in Taiwan zu tun, wo es im Gegensatz zu Europa nur wenig Raum für moderne Musik gebe. "Das Leben dort ist nicht bereit für zeitgenössische Musik, das Umfeld für Künstler sehr beschränkt." Wang ist froh, Taiwan so früh verlassen zu haben. Nur so könnten sich Musiker von der Tradition lösen. "Die klassische chinesische Musik ist eine gute Basis, aber auch eine große Einschränkung für die freie Kreativität. Wenn ich mit taiwanesischen Musikern zusammenarbeite, habe ich manchmal das Gefühl, wir leben in unterschiedlichen Welten."

Mittlerweile ist Wang sehr erfolgreich: Ihre Werke werden weltweit aufgeführt, heuer war sie auch auf dem Carinthischen Sommer vertreten. Die west-östliche Symbiose in ihrer Musik geschehe ohne Absicht, betont sie: "Ich bemühe mich nicht, westlich und östlich zu verbinden - ich tue es einfach, wann immer ich komponiere. Es sind die zwei Sphären meines Lebens und Schaffens." Auch in ihrem Privatleben mischen sich bei Kulturen: Freunde hat sie überall. Die Musik könne Menschen ungeachtet ihrer Sprache verbinden und Brücken zwischen den Kulturen bauen, erklärt Wang. Ihre Instrumente sind die Zheng, eine chinesische Wölbbrettzither, und die Pipa, eine chinesische Laute mit vier Saiten.

Chinesischen und taiwanesischen Studenten fällt der Schritt in die Fremde oft schwer, denn das Leben hier unterscheide sich stark von ihrer Heimat. "Das Tempo ist ganz anders", meint Wang. "Asiatische Städte sind so schnelllebig, Wien ist so gemütlich. Obwohl ich schon lange hier lebe, brauche ich beides. Jedes Jahr bin ich ein, zwei Monate in Taiwan."

Als freischaffende Künstlerin ist das Leben zwar nicht leicht, aber Wang kann sich nichts anderes vorstellen. Die Entwicklung des taiwanesischen Musikernachwuchses sieht sie auch kritisch. "Viele taiwanesische Jugendliche träumen am Beginn des Studiums davon, Solisten zu werden. Sobald sie aber fertig sind und ins Ausland gehen, merken sie, dass dies nicht realistisch ist. Sie müssen dann ihre Enttäuschung überwinden und neue Ziele finden."

Traditionell chinesisch und modern österreichisch

Eines der Projekte, die Wang in Wien mit organisiert, bietet taiwanesischen und europäischen Künstlern eine gemeinsame Bühne. Das Wiener Ensemble music.lab und das Taiwaner Ensemble Chai Found Music Workshop treten seit nunmehr zehn Jahren in unterschiedlicher Besetzung gemeinsam auf. Werke österreichischer und taiwanesischer Komponisten, Improvisationen sowie Gedichte und Bilder aus verschiedenen Epochen inspirieren so wechselseitig in verschiedenen Sparten der Kunst.

Besonders das Spannungsfeld zwischen neuer österreichischer Musik und der traditionellen chinesischen Klangwelt stimuliert: Die zweifache Konfrontation zwischen modern und klassisch sowie europäisch und chinesisch erfordere viel Gespür für die Eigenheiten der jeweiligen Kunstform. Dafür werden auch gerne mal Rollen getauscht: Die Flötistin Sylvie Lacroix spielte etwa auf dem letzten Konzert nicht nur "europäische" Querflöte, sondern versuchte sich auch an der chinesischen Bambusflöte.

Noten allein überwinden nicht alle Kommunikationsschwierigkeiten, betont Lacroix: "Die Musik hilft weiter, wenn man mit der Sprache arm dran ist. Aber den Kodex für den Umgang miteinander mussten wir erst lernen - auf beiden Seiten."