Der Musiker Lelethu Godongwana über die vermeintlichen No-Go-Areas in Kapstadt. | Oft illegal errichtete Townships sind besser als ihr schlechter Ruf. | Kapstadt. "Es ist wirklich nicht einfach, auf der positiven Seite des Lebens zu bleiben", erklärt der stolze Rasta Lelethu Godongwana, "aber wir alle werden das schaffen!" An seinem Arbeitsplatz im Zentrum von Cape Town, dem African Music Store, läuft während seiner Erzählungen der Soundtrack zu dieser hoffnungsvollen Vision: HipHop aus den bis zu 40 Kilometer weit vom Zentrum entfernten Townships der zerfledderten Metropole am Kap. Dort, wo die ersten weißen Siedler ihren Fuß aufsetzten und das Land der Schwarzen eroberten.
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Schwarzer HipHop aus den Townships hat in Cape Town, der "Mutterstadt der Rassentrennung", wie es immer hieß, eine immense Bedeutung. Durch ihn verleihen unzählige Musiker, weit draußen in den Cape Flats, ihresgleichen eine Stimme. In diesem riesigen, flachen, sandigen und windigen Umland der Stadt lebt mehr als die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner Kapstadts. Die dominierenden Hautfarben: Schwarz oder Farbig. Das sind die Coloureds, die Mischlinge.
Stolze Armut im Namen von Sonne und Mond
In Langa (Sonne), Nyanga (Mond) oder Gugulethu (unser Stolz); in Khayelitsha (unser neues Zuhause) oder in Paradise Park sind die Straßen nach Blumen benannt: Tulip und Protea. Aber es sind alles Townships. Mit einer Menge Probleme. "Für die betuchten Weißen im Zentrum und auch für tausende Touristen bleibt diese Welt leider eine Terra incognita", erklärt Lelethu. Es gäbe hier so viel Gutes zu entdecken, doch die Medien berichten kaum darüber.
Der letzte musikalische Schrei etwa aus den Cape Flats heißt Spaza: die südafrikanische Spielart des HipHop. Seine Eigenart besteht darin, dass in den vorherrschenden Idiomen des Landes, in Xhosa (der Sprache Lelethus), in Afrikaans und Englisch vermischt, getextet wird. Und traditionelle, akustische Instrumente mit elektronischen Sounds fusioniert werden. Ein Sound-Gebräu aus Schnalzlauten und jeder Menge unerhörter Klänge.
Lelethu räumt - bei aller kreativen und zivilgesellschaftlichen Energie hier - ein, dass das schwache Interesse an diesen Gegenden an dem noch immer hohen Prozentsatz von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogen-Kriminalität liege. Aber er sieht eine bessere Welt: "Es tut sich so viel Interessantes", sagt er, "man muss nur genauer hinschauen - und vor allem wollen. Wenn man die Leute unterstützt und sie machen lässt, sehe ich eine bunte und positive Zukunft!" Und es stimmt, an jeder Ecke spürt man stark ausgeprägtes Community-Leben und den Willen zur gemeinsamen Veränderung. "Böse Menschen" gäbe es überall, sagt Lelethu, freilich auch in seinem Township, in Khayelitsha.
Dort kommt er 1982, in einer der prekärsten Phasen der Apartheid, zur Welt. Heute ist er einer jener jungen Südafrikaner, die mit hohem Engagement und kreativem Willen ihr Schicksal in die Hand nehmen, ihre Umwelt verändern und die Vergangenheit hinter sich lassen wollen. Einer jener also, die hoffen lassen, dass sich dieses noch junge Land aus der Umklammerung seiner massiven Probleme befreien wird. Keine einfache Übung. Das Ende der Apartheid liegt schließlich erst wenig mehr als 15 Jahre zurück.
"Wie ein Süchtiger" liest Lelethu Bücher, erzählt er. Alles, was er in die Hände bekomme. Er habe sich nach seinem High School- und sündhaft teurem Computer-Fachschul-Abschluss selbst weitergebildet, jeden Tag etwas Neues gelernt. "Ich liebe Literatur und schreibe selbst." Ergänzend meint er, damit sei er ganz sicher nicht alleine. Aber jetzt freue er sich erst einmal auf das Cape Town Jazzfestival im April.
Lelethus wichtigster Motor im Kampf gegen die alltäglichen Schwierigkeiten ist die Kunst. Und die Musik. Auf sie setzt er alles. Möglichkeiten, das auch auszuleben, hat der Musiker nicht viele. Sein Boss im Platten-Laden, "eine sehr nette, weiße Kapstädterin", wie er sagt, zahle ihm rund 80 Euro die Woche - in Cash. Kranken- und Sozialversicherung habe er keine. "Als Musiker und Verkäufer in Kapstadts bestsortiertem Plattenladen sollte ich viele Konzerte besuchen", sagt er, "und ich tue das auch. Das kostet." Außerdem wohne er in Khayelitsha bei seinen Eltern und müsse sie unterstützen. Sonst ginge es sich nicht aus. An eine eigene Wohnung denkt er gar nicht. "Ich habe deshalb auch keine Freundin, hätte aber gerne eine."
Bereits in den 1970er Jahren erklärte die damalige Regierung ein paar Townships für überlaufen. Einige entstanden danach freilich illegal. Infrastruktur gab es deshalb keine. Kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Müllabfuhr. Aber auch das hat sich in der Zwischenzeit geändert. Neuankömmlinge in den Townships, die in den 1980er Jahren in aufsehenerregenden Aktionen wieder auf Lkw geladen und in ihre Homelands zurückgebracht wurden, kehrten immer wieder zurück. Mit jeder Rückkehr kamen mehr Freunde und Verwandte. Ihre Hütten, die oft mit Bulldozern niedergewalzt wurden, bauten sie wieder auf. Die Polizei überwachte den "Schandfleck und die Brutstätte militanter Anti-Apartheid-Kämpfer", wie es offiziell hieß, von hohen Überwachungstürmen. Und oft drang sie bei Razzien in Armeestärke ein.
"Mittlerweile sind die Verhältnisse etwas geordneter", erklärt Lelethu. Die Regierung des neuen Südafrika hat in den letzten 15 Jahren tausende Häuser gebaut. Das sogenannte RDP, Reconstruction Development Programme, war insgesamt eine gute Idee, sagt er. "Leider nutzten es korrupte Unternehmer und Politiker, um sich mit Regierungs-Geldern zu bereichern, indem sie kassierten und dann einfach auf den Baufortschritt gepfiffen haben. Unsere Zeitungen sind voll davon."
Knapp zwei Stunden Busfahrt oder ein langer Fußmarsch
In einem dieser RDP-Häuser wohnen auch er, sein Bruder und seine Eltern. Jeden Tag muss er aus dem Township District Mandela Park ins Zentrum, per Mini Taxi. Knapp zwei Stunden dauert die Fahrt. Je nachdem, wie oft der Bus Station macht. Das Ticket von umgerechnet einem Euro ist vielen zu teuer, sie bleiben daher in den Townships oder versuchen, zu Fuß ins Zentrum zu gelangen.
Mini Taxis, das sind die berühmten, abgetakelten 12-Sitzer- Kleinbusse, die landauf-landab ein öffentliches Verkehrsnetz schon seit Jahren ersetzen. Doch fixe Abfahrtszeiten und Streckenpläne gibt es nicht. Jetzt, vor der Fußball WM, organisiert das Transportministerium sie großflächiger und offiziell. Zum Unmut dieses informellen Sektors. In den Städten wird daher demonstriert.
Zu Abertausenden strömen die Township-Bewohner jeden Morgen nach Kapstadt. Mit ihnen Lelethu. Der Busbahnhof im Central Business District ist einer der geschäftigsten Punkte im Zentrum.
In seinem Rucksack hat Lelethu dann jede Menge Flyer mit Konzerttipps für den African Music Store und fast jeden Tag neue CDs. "Einfach und selbst produziert in den Wohnzimmern der Townships", erzählt er. "Großartiges Zeug!" Oder aufgenommen bei den immer erfolgreicheren sogenannten Open Mic Sessions. Produzenten und Manager brauchen die Leute nicht, um gute Musik zu machen. "Ich kopiere das Material oft auf unserem Geschäfts-PC und gebe das Zeug an die Kunden weiter. Ich kenne viele gute Musiker und in deren Umfeld auch Künstler."
"Musik ist der Treibstoff meines Lebens. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie wichtig mir das ist." Deshalb liebe er solche Open Mic Sessions wie diesen Samstag in Makhaza, einem weiteren Bezirk in Khayelitsha. Die Sessions finden irgendwo statt und scheinbar spontan. Aber das Line Up ist strikt organisiert. Sie geben unzähligen Musikern Gelegenheit zu performen. Nur die Leute mit dem Soundsystem tauchen oft nicht auf. Dann gehen alle wieder heim. In Makhaza treten heute ein paar Formationen vor etwa 1000 Menschen in einer Riesenhalle auf. Viele Kinder sind darunter. Aber auch nicht wenige Alte. Denn HipHop ist irgendwie die Kultur aller Generationen.
Musikhimmel fern von illegalen Waffen und Drogen
Spaza, der neue Capetown Hip-Hop, ist auch heute angesagt. Es ist die Hölle los. Oder besser der Himmel. Alle sind glücklich und alle sind von den Straßen weg. Fern von illegalen Waffen und Drogen. "Klar gibt es das auch in Khayelitsha", erklärt Lelethu in der Menge stehend, "aber was ich nicht verstehen will und auch nicht mehr akzeptiere, sind südafrikanische oder ausländische Journalisten, die ausschließlich Negativ-Campaigning betreiben."
Die Musiker haben jedenfalls die Nase voll davon und das thematisieren sie auch in ihrer Musik. Das Sextett Main Target Army etwa. Wenn sie cool und selbstbewusst auf die Bühne steigen, heult die Menge auf. Ihr Frontmann, der blutjunge Changelani Tyutu, beschwört die gemeinsame Stärke der Community. Oder das Quartett Triple Geez. Auch sie singen heute unter anderem vom gemeinsamen Weg, der beschritten werden soll. Ein Weg in eine bessere Zukunft. In ihrem Township Khayelitsha - durch dick und dünn. Die Kids im Publikum bekommen den Mund vor Bewunderung nicht mehr zu. Einige von ihnen werden wohl bald ebenso da oben auf der Bühne stehen.
Lelethu steht in der tobenden Menge, mit seiner hippen Kappe und der großen Sonnenbrille auf der Nase, lächelt zufrieden. Hier ist er zuhause. Ins Zentrum Kapstadts will er nicht ziehen. "Selbst wenn es finanziell möglich wäre", sagt er. "Ich habe noch sehr viel vor", ergänzt der Rasta und vor allem: "Ich bin wahnsinnig wissbegierig." Das könne er auch hier draußen im Township sein.