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Muskelspiele in der Ostsee

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU will mit östlicher Partnerschaft Macht des Kreml einschränken.


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Brüssel/Moskau. Kriegsschiffe in der Ostsee, Jagdflieger über der polnischen Küste, Panzerübungen nicht weit davon entfernt: Die derzeit im Osten Europas laufende Nato-Übung fasst weiter als alle Manöver des Bündnisses der vergangenen Jahre. An die 6000 Soldaten nehmen noch bis zum Wochenende daran teil, fast die Hälfte davon stellt Polen. Insgesamt sind aber Verbände von Heer, Marine und Luftwaffe aus knapp zwei Dutzend Nato-Staaten und deren Partnerländern an der "Steadfast Jazz" benannten Übung beteiligt.

Gerichtet ist diese gegen eine fiktiven Gegner. Das zu betonen, werden weder die Funktionäre in der Nato noch im polnischen Verteidigungsministerium müde. Die geografische Nähe zu Russland sei eher Zufall. Vielmehr gehe es um ein Training für die 13.000 Soldaten starke schnelle Nato-Eingreiftruppe: Es gelte sicherzustellen, dass die Einheit "zur Verteidigung aller Verbündeten bereit ist und auf alle Gefahren reagieren kann", erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Für das Sicherheitsgefühl der östlichen EU-Staaten könnte das Manöver dennoch von Bedeutung sein. Es ist gerade einmal einen Monat her, dass russisch-weißrussische Kriegsübungen mit rund 12.000 Soldaten für Proteste in den baltischen Ländern Litauen, Lettland und Estland gesorgt hatten. Doch umgekehrt ließen die Nato-Staaten Polen und Rumänien die Wünsche der USA nicht ungehört, in Osteuropa Teile eines Raketenschutzschildes zu errichten. Im Süden Rumäniens haben die Bauarbeiten dafür bereits in der Vorwoche mit einem feierlichen Spatenstich begonnen. In Polen sollen bis 2018 weitere Komponenten des Abwehrsystems entstehen.

Das könnte eines der Themen sein, die US-Außenminister John Kerry bei einem Treffen mit polnischen Politikern am Dienstag anreißt. Sein Besuch in Warschau ist der einzige in Europa während seiner mehrtägigen Reise, die ihn ansonsten in den Nahen Osten führt.

Wirtschaft als Lockmittel

Polen gehört denn auch zu den wenigen Staaten, die ihre Verteidigungsausgaben für die kommenden Jahre erhöhen wollen. Für die meisten anderen Nato-Länder sind Kürzungen in diesem Budgetposten Teil ihrer Sparprogramme. Seit längerem schon muss Rasmussen die empfohlenen Beiträge in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts einmahnen. Denn derzeit übersteigt das, was die Nato-Mitglieder in den Verteidigungshaushalt einzahlen, in den meisten Fällen nicht einmal 1,5 Prozent. Russland hingegen hat im Vorjahr verkündet, sein Verteidigungsbudget um ein Viertel zu erhöhen.

Doch die Machtdemonstrationen spielen sich nicht nur auf militärischer Ebene ab. Ebenso geht es um Handelsbeziehungen und geopolitischen Einfluss einer anderen Gemeinschaft: der Europäischen Union. Und das in einer Region, die Russland nicht näher sein könnte. Es sind nämlich die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Moldawien, Georgien, Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan, die die EU im Rahmen der sogenannten östlichen Partnerschaft enger an sich binden möchte. Bei einem Gipfeltreffen in Vilnius zwischen Vertretern dieser Länder und europäischen Spitzenpolitikern Ende des Monats soll etwa ein weitreichendes Handelsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet werden. Ähnliche Verträge mit Moldawien und Georgien harren ebenfalls ihrer Umsetzung.

Moskau reagierte auf diese Bemühungen nicht zuletzt mit Handelssanktionen. So hat es Importverbote für georgischen und moldauischen Wein verhängt und übt es auf die Ukraine immer wieder Druck durch Debatten um den Gaspreis aus. Doch auch EU-Staaten bleiben nicht verschont. So mussten polnische Lebensmittelexporteure wiederholt strenge Kontrollen über sich ergehen lassen, und zuletzt beklagten sich litauische Frächter über Schikanen an der russischen Grenze. Litauen ist nicht nur ein Nachbar Russlands, sondern führt derzeit auch den EU-Vorsitz.

Gleichzeitig versucht der Kreml, den Ländern der östlichen Partnerschaft Alternativen zur EU aufzuzeigen. Erfolgreich erwies er sich damit zuletzt in Armenien. Die Südkaukasusrepublik kündigte an, der eurasischen Zollunion beizutreten, die Russland gemeinsam mit Weißrussland und Kasachstan gebildet hat. Auch die Ukraine sollte zu diesem Schritt bewegt werden. Doch Kiew winkte - nach längerem Zögern - ab. Anders als Armenien, für das neben der wirtschaftlichen Bedeutung Russlands auch dessen Rolle als Schutzmacht im Konflikt mit Aserbaidschan zählt, wählte die Ukraine damit zunächst einmal den EU-Weg.

Schwäche der EU-Politik

Dass dieser sich nicht mit einer Annäherung an Russland vereinbaren lasse, wird in Brüssel immer wieder betont. Dieser Zwang zur Wahl wird von einigen Experten allerdings nicht nur als notwendiges Druckmittel gesehen, sondern auch als eine Schwäche der Partnerschaftspolitik der EU. Der Kreml werde damit vor den Kopf gestoßen, warnen sogar manche westeuropäische Diplomaten. Das komme noch zu einer anderen Brüskierung hinzu, wie die Visumpflicht von Moskau empfunden wird. Seit Jahren schon bemüht sich Russland um Reiseerleichterungen für seine Bürger, und ebenso lang verweist die EU auf noch unerfüllte Bedingungen.

Noch etwas anderes lassen die Europäer in ihrem Drängen unberücksichtigt: die zahlreichen Verknüpfungen in der Region, die es den östlichen Partnern erschweren, sich ohne Zaudern für die EU zu entscheiden. Darauf weisen Laure Delcour und Kataryna Wolczuk in einem aktuellen Studienpapier der Brüsseler Denkfabrik EPC (European Policy Centre) hin. Denn auch wenn die meisten Länder sich für eine Annäherung an die Union aussprechen, bleiben - auf die eine oder andere Weise - die Abhängigkeiten von Russland weiter aufrecht, argumentieren die Wissenschafterinnen. Das gelte nicht zuletzt für die wirtschaftlichen Beziehungen: Mag die EU für etliche Ex-Sowjetrepubliken der wichtigste Handelspartner sein, so folgt Russland gleich an nächster Stelle. Zudem seien die Versprechen der Gemeinschaft auf die spätere Zukunft gerichtet. Denn erst wenn die Länder bestimmte Voraussetzungen und Standards erfüllen, werden sie von den Handelsabkommen mit der EU profitieren. Die kurzfristigen Kosten sind währenddessen hoch. Russland lockt da mit früheren Profiten: Die ökonomischen Vorteile der eurasischen Zollunion würden schneller sichtbar.