Zwischen Islamophobie und "Islamischer Staat".
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Bei einer Bürgerversammlung am Semmering gegen ein Asylquartier meinte eine Frau: "Das sind ja lauter Männer. Das macht Angst." Medial wurde der Satz sofort auf muslimische Männer bezogen. Daran zeigt sich die ganze Ambivalenz der derzeitigen Situation: die Tatsache, dass es auf der einen Seite den "Islamischen Staat" und eine Radikalisierung von moslemischen Jugendlichen gibt - und auf der anderen Seite jene ganz andere Tatsache einer ansteigenden Islamophobie, einer panischen Ablehnung von Moslems bis hin zu tätlichen Angriffen, eines Generalverdacht gegen eine Religion.
Das Merkwürdige daran ist, dass diese Gleichzeitigkeit keine Kausalität bedeutet - die Tatsache eines islamistischen Terrors ist nicht die Ursache für die Ablehnung des Islams. Letzteres ist ein Vorurteil, das durch die Geschehnisse verstärkt worden sein mag - in ihrem Kern sind Vorurteile aber immer irrational. Anders gesagt, sie sind resistent gegen die Realität. Was wir derzeit haben, ist der seltene Fall, wo ein Vorurteil und ein tatsächliches, ein schlimmes Problem gleichzeitig auftreten. Das ist anders als bei den Itakern, den Tschuschen, den Zigeunern, den Piefkes oder den Juden. Und dennoch ist das Vorurteil gegen Moslems, nur weil es sich an ein reales Problem anlehnt (also so tut, als wäre es begründet), nicht weniger ein Vorurteil - und gleichzeitig ist das reale Problem nicht weniger ein Problem, nur weil es von Vorurteilen flankiert wird. Eine eigene Art von Parallelwelt.
Was ist in solch einer Situation zu tun? Wie geht man damit um? Muslime werden derzeit immer wieder aufgefordert: Distanziert Euch! Die Frage ist - baut das Vor-
urteile ab? Reduziert das die Hysterie? Wird einem Moslem danach kein Job mehr verweigert? Beendet dies die Diskussion um die Frage, ob der Islam per se eine Gewaltreligion sei, die Theologen derzeit in seltener Allianz mit dem Stammtisch führen? Und auf der anderen Seite: Hilft das gegen Radikalisierung? Hält solch eine Distanzierung auch nur einen Jugendlichen davon ab, in den "Heiligen Krieg" zu ziehen?
In Deutschland haben muslimische Vereine das getan. 2000 Moscheen-Gemeinden haben in einer bundesweiten Aktionen solch ein "Zeichen gesetzt". Und auch wenn es danach Kritik von zwei Seiten gab - von jenen, die meinten: Warum muss ich mich überhaupt distanzieren? und von jenen, die meinten: Das reicht nicht! -, so muss man sagen: Es war ein richtiger Schritt. Richtig nicht aus humanisierender Rührseligkeit, sondern weil man nicht unterschätzen darf, was solch ein Zeichen-Setzen bedeutet. Für die Muslime als Gemeinschaft bedeutet es, als Muslim und als Bürger gleichzeitig aufzutreten. In den Sozialen Netzwerken gibt es noch eine viel weiter reichende Zeichensetzung: Unter "#NotinMyName" treten Muslime mit Bild und vollem Namen gegen Terror im Namen des Islams auf. Man versteht auch von außen, wie solche Leute als Verräter beschimpft werden. Aber der öffentliche Auftritt als Bürger, noch mehr aber jener als einzelnes Individuum vollzieht jene partielle Säkularisierung, der sich jede Religion in einer Demokratie unterziehen muss. Partielle Säkularisierung bedeutet nichts anderes als die Eingrenzung der religiösen Identität. Und genau dazu dienen solche Distanzierungen.