Heimische Muslime sind nur teilweise überrascht über die Islam-Skepsis der Bevölkerung. | Die meisten glauben, dass sich die Lage langfristig verbessern wird. | Wien. "Früher war den Menschen der Islam noch ganz fremd", meint Fuat Sanac, Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht. Als er 1982 nach Österreich kam, habe es kaum Interesse am Islam gegeben, weil hier nur wenige Muslime lebten. "Alle - auch die Muslime selbst - haben geglaubt, dass sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren werden."
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Die Ergebnisse einer jüngsten Umfrage, derzufolge 54 Prozent der Österreicher den Islam für eine Bedrohung für den Westen halten, überraschen Sanac dennoch nicht. Berichte über Terrorattentate und den viel diskutierten Beitritt der Türkei zur Europäischen Union macht Sanac für das Resultat der Studie verantwortlich. "Politiker verbreiten Angst unter der Bevölkerung." Einige Sorgen seien berechtigt, weil die Menschen über den Islam zu wenig aufgeklärt seien. "Der Dialog muss intensiver geführt werden." Gleichzeitig betont Sanac: "Im Alltag habe ich nichts Schlechtes erlebt, sowohl in den Schulen, als auch in den Behörden."
Auch andere Muslime meinen, dass das Miteinander in vielen Bereichen bereits funktioniere. "Wir waren über das Ergebnis sehr überrascht", meint Yakup Gecgel, Sprecher der Islamischen Föderation. "Gerade in Österreich besteht in ländlichen wie in städtischen Gebieten ein gutes Zusammenleben." Man hätte die Befragten auch fragen sollen, wie viele Muslime sie kennen. Mit rund 60 Moscheen ist die Islamische Förderation eine der größten islamischen Vereinigungen Österreichs. Der frühere türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan gilt als Mitbegründer und Leitfigur der Bewegung.
Weit weniger optimistisch ist Shaker Assem, Mediensprecher der islamischen Partei Hizb-ut Tahrir. Für ihn liegt das Problem nicht im Ausland, sondern "in der gängigen Vorstellung von Integration. Politik und Bevölkerung verstehen darunter Assimilation, die komplette Anpassung an die westliche Lebensweise. Wenn Menschen ihre Kultur wahren und Unterschiede zur hiesigen Lebensweise bestehen bleiben, gilt das als nicht integrationswillig. Hier fordert man von Muslimen etwas Inakzeptables." Hizb-ut Tahrir macht sich für die Errichtung eines Kalifats, einer Art islamischen Theokratie, in einem islamischen Land stark. In Deutschland ist die Partei verboten.
Assem ist überzeugt: "Sobald ein Kalifat entstehen wird und sich die wirtschaftliche Situation dort maßgeblich verbessert, werden viele Muslime dorthin ziehen und Europa den Rücken kehren. Natürlich entwickeln Muslime hier eine gewisse Bindung, aber wenn die Gehässigkeit gegenüber dem Islam und der Druck auf die Muslime weiter zunimmt, werden sich besonders religiöse Muslime genötigt sehen, das Land zu verlassen."
Streitthema Kopftuch
Als Beispiel führt Assem den Kopftuch-Streit an: "Das Kopftuch wird als politisches Symbol und als Integrationsunwilligkeit gebrandmarkt, dabei ist das nichts anderes als eine religiöse Entscheidung der Frau, die nichts mit Unterdrückung zu tun hat. Mittlerweile werden Frauen mit Kopftuch auf der Straße angepöbelt, teils bekommen sie keine Wohnung oder Arbeit mehr." Yakup Gecgel bezweifelt hingegen, dass das Kopftuch eine wichtige Rolle spielt: "Auch Pakistani sind anders gekleidet. Die Kleidung ist nicht so entscheidend."
Tatsächlich äußern einige Islam-Kritiker ihren Unmut über das Kopftuch: "Jedes Kleidungsstück drückt etwas aus", meint Harald Fiegl, Organisator diverser Diskussionsveranstaltungen zu Islam und Säkularität, etwa bei den Rotariern. "Eine Frau signalisiert dadurch: Ich gehöre nicht dazu." Fiegl macht auch kein Geheimnis daraus, dass er bei der Studie mit der Mehrheit gestimmt hätte. Er betont: "Ich bin ein Zeitzeuge", und verweist auf seine insgesamt elf Jahre, die er in der Türkei gelebt hat, zuletzt als österreichischer Handelsdelegierter von 1985 bis 1992.
Harald Fiegl hebt hervor, dass es eine Demokratie im westlichen Sinn in der gesamten islamischen Welt nicht gebe, die Türkei eingeschlossen. Den Grund dafür sieht er in der fehlenden Trennung von Religion und Politik im Islam. Und deshalb beharrt er auch - hier ganz im Kontrast zu Shaker Assem - auf der Übernahme des westlichen Lebensmodells, denn dieses bedeute "säkularen Individualismus mit freiwilliger Religionsausübung und individueller Identität", im Unterschied zur "kollektivistisch geprägten Lebensweise" der Muslime "mit sich abgrenzender Gruppenidentität".
"Auch deutsche Zuwanderer in den USA lebten zunächst in Ghettos", meint hingegen Elsayed Elshahed, Leiter des Instituts für Interkulturelle Islamforschung. Anders als Fiegl sieht er auf lange Sicht keine Hindernissen für ein friedliches Zusammenleben. "Die Muslime sind in Europa eine beachtliche Minderheit geworden, zahlenmäßig wie qualitativ: Es gibt mittlerweile mehrere Intellektuelle, die in der Gesellschaft mitarbeiten. Das verursacht auch Neid. Andererseits müssen die Muslime an sich selbst arbeiten, denn viele leben im Kopf noch immer in ihrem Heimatdorf." Doch dürfe die österreichische Gesellschaft die Muslime nicht ausschließen, denn dann entstehe eine gegenseitige Abgrenzung.
Fehler von Islamvereinen?
Amer Albayati, Sprecher der "Initiative Liberaler Muslime Österreichs", macht freilich auch die schlechte Integrationsarbeit islamischer Vereine für die Angst vor dem Islam verantwortlich: "Das Schaffen islamischer Kindergärten und Schulen ist nicht im Sinne Österreichs und der Muslime." Muslime sollten von klein auf normale Bildungseinrichtungen besuchen, alles andere sei kontraproduktiv für die Integration. Und Muslime müssten auch anerkennen, dass hier das "christliche Abendland" besteht. "Es gibt europäische Intellektuelle, die den Islam hassen, weil sie auf der westlichen, abendländischen Kultur beharren, auch wenn sie selber nicht religiös sind."
"Die Muslime sind nicht mit leeren Händen gekommen, sie haben auch ihre Kulturen mitgebracht", erklärt noch Fuat Sanac. So hätten sie das Zusammenleben in Österreich durchaus bereichert. "Der Austausch ist eine Bereicherung für beide Seiten."