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Die EU-Bürger können ihre Rechte beim europäischen Gericht erster Instanz (EuGeI) als "Verwaltungsgericht" einklagen, betont Richter Josef Azizi. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm über die Unterschiede zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) und darüber, wer in der EU "in der Auslage" steht.
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Richter, Referenten und Übersetzer sind perfekt zusammengespielt, wenn es um komplexe Fälle geht. "Es läuft ab wie in einem Atelier", vergleicht der österreichische Richter seine Arbeit am Gericht erster Instanz . "Da muss man auch die Demut haben, zu sagen: Ohne mein Team bin ich nichts." Azizi meint denn auch, bisher "ein Abonnement auf Monsterfälle" gehabt zu haben. Etwa der Zement-Fall, wo 42 Betriebe ein Kartell bildeten. Azizi erinnert sich hier an eine Million Seiten, die der gesamte Akt umfasste, und an das 1.300-seitige Urteil. Die Richter stehen unter "enormem Arbeitsdruck". Nicht selten beginnt Azizi den Arbeitstag um vier Uhr früh.
Das Gericht erster Instanz sei eine Art "europäisches Verwaltungsgericht, wo sich der einzelne zur Wehr setzen kann gegenüber einem Gemeinschaftsrechtsorgan" (etwa Kommission), erläutert Azizi. Hingegen als oberstes EU-"Verfassungsgericht" kann der Gerichtshof aufgefasst werden. Er befasst sich etwa mit den Vertragsverletzungsverfahren oder den Vorabentscheidungen, bei denen Gerichte der Mitgliedstaaten um die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Regelungen ersuchen.
Installiert wurde das Gericht erster Instanz erst 1988/89. Zum einen sollte der Gerichtshof (bereits 1952 gegründet) "von besonders arbeitsintensiven, komplexen Sachverhalten entlastet" werden, erklärt Azizi. Zum anderen sollte "der Individualrechtsschutz" gestärkt werden - was dem österreichischen Richter besonders wichtig ist. Vor dem Gericht erster Instanz landen etwa Schadenersatzklagen ebenso wie wettbewerbsrechtliche Klagen, wenn also die Kommission - als Hüterin der EU-Verträge - Kartelle wie im Zement-Fall oder Unternehmenszusammenschlüsse beanstandet. Denn Wettbewerbsfreiheit ist ein Grundrecht. Verhängt die Kommission hohe Geldstrafen (teilweise mehrstellige Millionen-Euro-Beträge), können die betroffenen Unternehmen dagegen vor dem Gericht erster Instanz berufen.
"Querulanten" auf europäischer Ebene
Dass in der öffentlichen Wahrnehmung der EU-Rechtsprechung der Gerichtshof an erster hierarchischer Stelle stehe, findet Azizi "total normal". Das Gericht erster Instanz stehe "nicht in der Auslage", während der EuGH eben "die verfassungspolitisch tragenden Fragen" behandle. Ihm sei der Zugang zum Gemeinschaftsrecht "ein persönliches Anliegen", betont Azizi. Natürlich gebe es auch auf europäischer Ebene "Querulanten", die immer wieder klagen. Doch als Richter habe er eine "Befriedungsfunktion". Wichtig ist Azizi daher das individuelle Klagerecht, das in der neuen EU-Verfassung vorgesehen ist und auf österreichische Initiative in den Entwurf gekommen sei. Es ist jedoch nicht unumstritten unter Juristen, die befürchten, das Gericht würde lahm gelegt. Azizi verweist jedoch darauf, dass es auch beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) keine Flut von "Popularklagen" gebe.
Azizis (55) Mandat läuft Ende August aus. Er gibt aber offen zu, dass er seine Richtertätigkeit in Luxemburg gerne fortsetzen würde. Die Entscheidung über die Bestellung auch der europäischen Richter obliegt der Bundesregierung.
Wie sich Azizi persönlich auf die EU-Erweiterung vorbereitet? Mittels Crash-Kurs in Tschechisch. Denn von den neuen Mitgliedstaaten ist Tschechien das ihm als Österreicher am nächsten stehende Land. "Wir müssen in Zukunft einfach flexibler sein."